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: Neuartiges Pool-Syndrom

Es ist heiß und ich bin in einem Garten einer Laubenpieperkolonie auf einer Party. Jedenfalls fühlt es sich so an. Lasst uns Fußball gucken, als wäre die Pandemie überstanden, stand in der SMS. Ungefähr zwanzig Leute stehen oder liegen daher nun auf Decken im Schatten der Büsche oder Sonnenschirme und unterhalten sich über die Pandemie. Ich sitze auf einem Küchenstuhl, schaue auf den Bildschirm und höre zu. Wortfetzen wie Corona, Delta-Variante, Sperrgebiet Lissabon, Drosten und Impftermin mischen sich mit Fußball-Fachsimpeleien. Das Spiel ist bereits in Gang, ein Tor ist schon gefallen, trotzdem bin ich etwas abgelenkt. Es sind einfach zu viele Menschen um mich herum, stelle ich fest. Irgendwie ist man Menschenansammlungen nicht mehr gewöhnt, bemerkten wir auch neulich mit der Familie in einem vollen Biergarten. Cave-Syndrom nennt sich das Phänomen und beschreibt unabhängig vom Impfstatus ein unbehagliches Gefühl, seinen Lebensstil nach der Coronakrise wie vor der Pandemie zu verfolgen. Aber nicht nur das, sagte ein Freund: „Ich habe es wirklich zu schätzen gelernt, im Home-Office zu arbeiten. Ehrlich gesagt will ich gar nicht mehr regelmäßig ins Büro zurück.“

Ich kann das gut verstehen.

Die Gastgeber haben Sonnenschirme aufgestellt, Melone und Salate warten auf einem Buffet und Getränkeflaschen liegen im Wasser gefüllten Planschbecken des Sohnes zum Kühlen. Der Kleine tut sich ebenso etwas schwer mit der Feier. Er macht einen Bogen um die Menschen, schleppt die Flaschen wieder aus seinem Planschbecken heraus und klebt die im Wasser abgelösten Etiketten dem Hund aufs Fell, der mit geöffnetem Maul zu meinen Füßen liegt.

Ich mag den Sohn. Er ist gerade vier Jahre alt geworden, trägt eine runde Brille, und wenn er gerade keine Flaschen hin- und herschleppt, läuft er mit auf dem Rücken verschränkten Armen durch den Garten und murmelt Unverständliches. Er erinnert mich an meinen Großvater, den Förster, der sommers in eben dieser Haltung durch den Garten lief und seine Pflanzen inspizierte.

Der kleine Sohn hier redet mit dem Hund und will ihn in das Becken bewegen. „Tristan, willst du schwümmen?“, fragt er den Hund und setzt ein aufmunterndes „Ja? Ja?“ hinzu. Ein Raunen geht durch den Garten. Ich achte schon nicht mehr aufs Spiel. Der Kleine nimmt eine nachdenkliche Haltung ein und pappt Tristan ein Etikett zwischen die Ohren. Ich lächle und frage: „Möchtest du denn schwimmen gehen?“

Der Kleine nickt. „Du auch?“

„Ok“, sage ich. Wir gehen zum Planschbecken. Hier ist es ein wenig ruhiger.

Der Kleine zeigt auf den roten Pool, in dem zwei Absätze aus Plastik gegenüberliegende Sitzflächen beschreiben.

„Du sitzt da und ich hier“, bestimmt er.

Der Kleine und ich setzen uns etwas abseits ins Planschbecken, halten die Füße ins Wasser, fischen Etiketten heraus und kleben sie uns auf die Beine. Ab und zu lächeln wir uns an, und ich glaube, wir fühlen uns hier beide wohler. Vielleicht ist es ja das Pool-Syndrom, eine Variante des Cave-Syndroms. Isobel Markus