: Der ratlose Modernisierer
UGANDA Ethnische Konflikte bedrohen das einstige Fortschrittsmodell für ganz Afrika. Präsident Museveni ist die Vision für das Land abhandengekommen
■ ist seit 1990 Afrikaredakteur der taz. Den Beginn der jüngsten Unruhen in Kampala am 10. September erlebte er vor Ort. Im Herbst erscheint bei Brandes & Apsel die aktualisierte Auflage seines Buchs „Kongo: Kriege, Korruption und die Kunst des Überlebens“.
Die blutigen Unruhen, die Ugandas Hauptstadt Kampala Ende vorletzter Woche für mehrere Tage in ein Bürgerkriegsgebiet verwandelten, haben einen der wichtigsten Reformstaaten Afrikas in die Krise gestürzt. Bisher stand Uganda für eine relativ erfolgreiche Politik der Modernisierung und des ökonomischen Aufschwungs. Jetzt ist Uganda der Testfall dafür, ob sich explosive Konflikte mit möglicherweise bis zum Genozid reichenden Folgen im Keim ersticken lassen.
Auf dem Prüfstand steht die Erfolgsbilanz einer Generation. Als Ugandas heutiger Präsident Yoweri Museveni 1986 als Rebellenführer die Macht ergriff, ähnelte das Elend im Land dem in der Demokratischen Republik Kongo heute. Uganda lag am Boden nach der Diktatur Idi Amins in den 1970er-Jahren und den nachfolgenden Bürgerkriegen mit hunderttausenden Toten. Museveni setzte sich sehr ehrgeizige Ziele, um diesen Zustand dauerhaft zu überwinden. Tribalismus und ethnische Spaltung waren für ihn Folgen ökonomischer Unterentwicklung. Erst die Herausbildung einer industriellen Klassengesellschaft könnte moderne pluralistische Politik ohne ethnische Polarisierung ermöglichen. Es ging also um das Umkrempeln der gesamten Gesellschaft. Uganda ist mit dieser Vision zum Fortschrittsmodell für Afrika geworden. Zahlreiche afrikanische Führer haben sich davon inspirieren lassen, und Uganda mit seiner boomenden Wirtschaft und seiner lebendigen politischen Kultur ist heute gegenüber den 80er-Jahren nicht wiederzuerkennen.
Musevenis Vision
Aber es gab dabei ein Problem: Uganda ist ein Vielvölkerstaat mit einer jahrhundertealten Geschichte stolzer Königreiche. Keines war stolzer als das mächtige Buganda mit der Hauptstadt Kampala, das die britischen Eroberer Ende des 19. Jahrhunderts bestaunten. Die Briten warben erfolgreich um Buganda als Verbündeten, und es wurde zum Herzstück der späteren Kolonie Uganda. Nach der Unabhängigkeit 1962 war die Vorherrschaft der Baganda vorbei, die Monarchie wurde abgeschafft und Uganda versank im Chaos. Die Baganda halfen schließlich Museveni in seinem erfolgreichen Guerillakrieg, und als Belohnung führte er 1993 die alten Königreiche wieder ein.
Diese ugandischen Königreiche – neben Buganda gibt es Bunyoro und Toro im Westen des Landes Richtung Kongo, einige kleinere sind seither dazugekommen – sind dem Gesetz nach lediglich „kulturelle“ Institutionen ohne politische Funktion, verfügen aber über eigene Regierungen und erhebliche traditionelle Macht beispielsweise in Form von Landeigentum. Museveni war das egal. Er dachte, eine jüngere ugandische Generation würde diese Relikte der Vergangenheit automatisch hinter sich lassen. Aber das Gegenteil ist der Fall gewesen.
Gerade Buganda hat seinen Stolz immer wieder gegen Museveni definiert, der aus einem von den Baganda – wie das Staatsvolk Bugandas heißt – als minderwertig angesehenen Hirtenvolk im Südwesten des Landes stammt. Die Einführung eines voll ausgeprägten Föderalismus lehnte Museveni ab, die historische Buganda-Hauptstadt Kampala blieb als Hauptstadt ganz Ugandas offiziell vom Königreich getrennt, und der traditionelle Baganda-Großgrundbesitz wurde durch Landreformen untergraben.
So konnte sich ein Baganda-Nationalismus nähren, der heute die arbeitslose Jugend Kampalas und des ugandischen Kernlands fest im Griff hat. Museveni überzeugt nach 23 Jahren an der Macht hingegen kaum mehr als Vertreter von etwas Neuem – zumal die versprochene Industrialisierung und Demokratisierung stagnieren.
Den Todesstoß versetzte Museveni seinem Fortschrittsmodell selbst. Seit der Entdeckung reicher Ölvorkommen im Westen Ugandas, vor allem im Gebiet des Königreichs Bunyoro, sind dort zahlreiche Landkonflikte ausgebrochen: Spekulanten von außerhalb erwerben Grundeigentum in der Hoffnung, bei Beginn der Ölförderung Entschädigungen zu kassieren. Um den Ärger darüber in Bunyoro zu besänftigen, schlug Museveni unlängst vor, alle Verwaltungsposten der Region der einheimischen Banyoro-Bevölkerung zu reservieren.
Reethnisierung der Gesellschaft
Seither ist ethnischer Diskurs in Uganda wieder hoffähig, und Museveni kommt dagegen nicht mehr an. Bei den Unruhen in Kampala klang die Forderung durch, alle Fremden hinauszuwerfen, damit Buganda rein und stark neu entstehen kann. Musevenis Reaktion reduziert sich auf Repression sowie auf die Klage, der König von Buganda nehme seine Anrufe nicht entgegen. Es ist eine Bankrotterklärung eines Visionärs, dem die Vision abhandengekommen ist.
Letztendlich hat Museveni das Wesen von Modernisierung grundsätzlich missverstanden: Sie gelingt dort am besten, wo traditionelle Identitäten sie mittragen können. Nicht von ungefähr sind die erfolgreichsten Reformländer Afrikas die, in denen vorkoloniale Staatlichkeit am gefestigtsten war und noch heute eine Säule der nationalen Identität darstellt: Ruanda mit seinem jahrhundertealten Königreich, Uganda mit Buganda als seinem Herzen, Ghana mit dem einst mächtigen Ashanti, Äthiopien als Erbe des jahrtausendealten Kaiserreichs Abessinien. Mit Ausnahme Ashantis wurde keines dieser Reiche von den Kolonisatoren wirklich erobert. Abessinien schlug als einziger afrikanischer Staat den Versuch europäischer Herrschaft militärisch zurück. Ruanda akzeptierte das deutsche Protektorat eher zum Spaß. Buganda nutzte die Allianz mit den Briten zur eigenen territorialen Ausdehnung.
Je weiter die Kolonialzeit zurückliegt und die europäische Kolonialherrschaft zu einer Episode der afrikanischen Geschichte schrumpft, desto größer werden die Schatten, die Afrikas vorkoloniale Staaten auf die Gegenwart werfen. Mit den schwersten Unruhen, die Uganda seit den 80er-Jahren erlebt hat, zeigt sich jetzt erstmals, was daraus entstehen kann, wenn die Regierung das nicht merkt.
Diese Dynamik ist gefährlich. Sie politisch abzufangen und beispielsweise mit einem föderalen System eine Neugründung des ugandischen Staates zu versuchen – das wäre eine Reform, die Musevenis Ansprüchen an sich selbst, sein Land und an Afrika würdig wäre. DOMINIC JOHNSON