PROBLEME MIT EUROPÄISCHEN EINWANDERERN AUS DER TIERWELT : Shakespeare ist schuld
ADRIENNE WOLTERSDORF
Das Boot ist voll, schreien die US-Ornithologen. Und die Ranger des National Park Service rufen hinterher: Die Seen auch. Auch die Flughafenlotsen brüllen: Raus mit den Migranten! Die Nasen voll haben sie von europäischen Einwanderern. Denn die Neuankömmlinge verhalten sich wie eine Gang der Hells Angels. Machen in großen Horden Ärger, rennen um, was sich ihnen in den Weg stellt, und kicken die Ureinwohner mit fiesen Methoden raus. Die Rede ist nicht von uns, sondern von Staren und Muscheln.
Das mit den Staren fing ausgerechnet mit Shakespeare an. Weil der Dichter in der dritten Szene seines „Heinrich IV.“ diese langweilig grauen Vögel erwähnte, verdunkeln sie nun die Himmel der Neuen Welt. Das kam so: New York City, in den frühen 1890ern. Eine Gruppe ornithologisch besessener Shakespeare-Fans kommt auf die bizarre Idee, jeden Vogel, den der Dramenfürst je in seinen Stücken erwähnte, in den USA heimisch zu machen. 100 Stare werden aus Europa importiert und im Central Park frei gelassen. Und tschüs. Über 100 Jahre später sind diese Stare mehr Hitchcock als Heil.
Der Star, ein grenzenlos anpassungsfähiger Vogel, hat den nordamerikanischen Kontinent in null Komma nichts erobert. Von Alaska bis zu den feuchtwarmen Stränden von Mexikos Baja-Peninsula sind die Racker der Lüfte dabei, Flugzeuge zum Abstürzen zu bringen, Rinderherden in den Wahnsinn zu treiben, einheimische Singvögel zu vertreiben, Städte zu verkacken und gehörigen Schaden mit ihrem Guano anzurichten. Und dagegen ist fast nichts zu machen.
Aufgestachelt von besorgten Flughäfen, versuchte die US-Regierung im vergangenen Jahr in einer verzweifelten Aktion den in Megaschwärmen umhervagabundierenden Staren den Garaus zu machen. US-Beamte vergifteten, erschossen und fingen 1,7 Millionen Exemplare – bei geschätzten 200 bis 300 Millionen Rockern der Lüfte nur ein Schuss in den Ofen. Stare vermehren sich wie die Weltmeister, essen alles, sind sagenhaft mobil.
Genau wie sie, nur noch wuchtiger, ist die winzige Zebramuschel gerade dabei, US-Biologen das Fürchten zu lehren. Die Minimuschel reist seit einigen Jahren, genauer seit dem Fall der Mauer, gern an osteuropäischen und russischen Schiffen klebend über den Atlantik. Dabei ist es ihr völlig egal, ob sie in Süß- oder Salzwasser landet, Hauptsache nass – und dann geht die Post ab. Sie ist der Star des Wassers. Kaum gelangt sie in ein neues Gewässer, reißt sie alles an sich: das Plankton, die Nistplätze, den Sauerstoff.
Die uniformierten Ranger der US-Nationalparks müssen zur Zeit Lehrgänge in Bootsinspektion absolvieren. Kommt ein Freizeitkapitän mit seinem Sportboot an einen der Millionen frei zugänglichen Seen, muss er neuerdings sein Ballastwasser vorführen. Wehe, da findet sich auch nur eine Larve der promisken Bivalvia! Eine Zebramuschel kann im Handumdrehen einen ganzen See bevölkern und Mitmuscheln und anderen Lebewesen das Leben zur Hölle machen. Liebe Miteuropäer, kann man da nur sagen, wir bleiben uns treu.