: Mit der Verfassung gegen Hartz IV
Der Berliner Anwalt Ulf Wende kämpft auf dem Rechtsweg gegen Hartz IV. Nachdem das Verfassungsgericht die ersten Klagen verworfen hat, hofft er jetzt auf den Instanzenweg
BERLIN taz ■ Ulf Wende blickt aus dem fünften Stock eines funktionalen Büroturms in der Berliner Palisadenstraße. Der Name ist durchaus passend für den Sitz einer Kanzlei, die sich in den letzten Jahren immer wieder für Bürgerrechte engagiert hat. Der 37-Jährige ist ein bulliger Typ mit der Anmutung eines sanften Chorknaben – und ein entschiedener Gegner von Hartz IV. „Ich glaube nicht, dass die Ausgrenzung von Millionen von Menschen auf Dauer gut geht“, sagt er. „Wir werden eines Tages einen hohen politischen Preis dafür zahlen.“
Der parteilose Wende hat bereits vorigen Herbst im Auftrag von drei PDS-Landtagsfraktionen die Vereinbarkeit von Hartz IV mit dem Grundgesetz analysiert. In seinem Gutachten kam Wende zu einem vernichtenden Urteil: Hartz IV verstoße in mindestens zehn Punkten gegen die Verfassung. Unter anderem würden das Sozialstaatsgebot, die Menschenwürde und das Verbot der Zwangsarbeit verletzt.
Mit dem Bundesverfassungsgericht, das über die Frage letztlich befinden muss, hat der junge Anwalt einige Erfahrung. „Ganz unspektakuläre Geschichten“, sagt Wende über die Verfahren, die seine Kanzlei bereits nach Karlsruhe gebracht hat – von Klagen zum Renten-, Vermögens- und Arbeitsrecht rund um die Wiedervereinigung bis hin zur Klage der PDS im Bundestag gegen die Unterzeichnung der neuen Nato-Doktrin. Die Arbeit als Anwalt steht für den Vater zweier Kinder immer auch in politischem Kontext. Wende ist Bundessekretär der Vereinigung Demokratischer JuristInnen und Mitglied im Arbeitslosenverband Deutschland.
Als die ersten Verfassungsbeschwerden zu Hartz IV in Karlsruhe eintrafen, nahmen die Verfassungsrichter die Klagen nicht an und verwiesen auf die Ausschöpfung des normalen Rechtswegs. Obwohl Verfassungsbeschwerden theoretisch möglich sind, „wenn die Beschwerde von allgemeiner Bedeutung ist oder eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle davon betroffen sind“, mochten die Karlsruher Richter eine solche Dringlichkeit nicht erkennen und lieber abwarten, bis sich die Sozialgerichte mit den Klagen zu Hartz IV erschöpfend befasst haben. Doch das kann Jahre dauern.
Eine Entscheidung, die Ulf Wende für „rechtlich problematisch“ hält, weil einige Regeln der Arbeitsmarktreform bereits heute der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zuwiderlaufen. Freundlich weist Wende darauf hin, dass der Staat nach einem früheren Karlsruher Urteil „die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger“ schaffen müsse. Das sei angesichts der nach wie vor zu niedrig bemessenen Bedarfssätze beim Arbeitslosengeld II nicht erfüllt, meinen auch andere Experten wie der Bremer Rechtsprofessor Wolfgang Däubler oder der Paritätische Wohlfahrtsverband. Nach dessen Berechnungen liegen die Sätze um 19 Prozent unter dem Existenzminimum.
Die Gewährung dieser Mindestsätze vom gefügigen Verhalten des Arbeitslosen abhängig zu machen steht nach Wendes Ansicht ebenfalls im Konflikt mit dem Grundgesetz. Erzwungene Verträge wie die Eingliederungsvereinbarung für Empfänger von Arbeitslosengeld II verstießen gegen die Grundrechte der Vertragsfreiheit und der allgemeinen Handlungsfreiheit, sagt Wende.
Für ebenso verfassungswidrig hält der Anwalt die Schlechterstellung von Langzeitarbeitslosen und die Behandlung der Partnereinkommen von Hartz-IV-Empfängern, für die viel höhere Freibeträge gelten müssten. „Derzeit bleibt nichts anderes übrig, als den Weg durch die Gerichtsinstanzen zu gehen.“ Hartz-IV-Kläger müssen sich vom Sozialgericht über das Landessozialgericht bis zum Bundessozialgericht klagen.
Erst in einigen Jahren werden dann die ersten Fälle in Karlsruhe landen. Eine Verkürzung des Rechtswegs ist nur denkbar, wenn ein Sozialgericht zu der Auffassung kommt, dass bestimmte Gesetze verfassungswidrig sind. Dann kann es direkt das Verfassungsgericht anrufen. Aber auch wenn eines Tages eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen werde, dürfe man keine Wunder erwarten, meint Wende. „Das Verfassungsgericht ist keine Notreparatureinrichtung für missglückte Gesetze. Der Gesetzgeber müsste sich von sich aus bemühen, verfassungskonforme Gesetze zu machen.“
TARIK AHMIA