KURZKRITIK: „WERTHER!“ AM THALIA-THEATER IN DER GAUßSTRAßE
: Die Posen des Neuen

Die Aneignung des Textes ist geglückt. Aber interessanter als der alte ist der neue Werther deswegen nicht

Werther sitzt an einem Tisch auf der Bühne, er hat Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ in der Hand und liest daraus vor. Es ist die erste Szene des Stückes „Werther!“, das Goethes Briefroman zur Grundlage hat. Klar ist damit, dass sich dieser Werther dem „Werther“ erst nähert, anstatt ihn schon zu verkörpern. Der Schauspieler Philipp Hochmair ist ein Mensch von heute und gibt nicht vor, einer von damals zu sein.

Der moderne Werther eignet sich den „Werther“ an, indem er vor dem Hintergrund des Originaltextes Lebensentwürfe und Haltungen ausprobiert. Er produziert sich zum Beispiel als Cowboy, der außerhalb der Gesellschaft steht. Oder als griechischer Gott. Oder als Hausmann, Komiker, Marktschreier. Den Selbstmord am Ende macht er nicht mit.

Neben Tisch und Stuhl gibt es kaum Requisiten auf der Bühne des Thalia-Theaters in der Gaußstraße. Dafür hat Regisseur Nicolas Stemann seinem Schauspieler eine Videokamera gegeben, deren Bilder als Filmstills auf einer Leinwand zur Kulisse werden. Die emotionalen Höhepunkte der Verwandlungen bleiben dank Pause-Taste als gefrorene Momente im Raum. Die Aneignung des Textes ist geglückt. Aber interessanter als der alte ist der neue Werther deswegen nicht. KLAUS IRLER

nächste Vorstellung: 24. 9., 20 Uhr