: Wählen hinter Gittern
Der Verein „Freiabonnements für Gefangene“ setzt sich für eine politische Diskussionskultur über Gefängnismauern hinweg ein: mit Zeitungen und mehr
„Mein Wahlrecht nehme ich hier im Knast wahr. Viele Gefangenen nehmen ihr Wahlrecht aber nicht wahr, sie sagen, es ändert sich nichts für sie, das sehe ich anders …“ schreibt H-J aus der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken. Der Verein Freiabonnements für Gefangene e.V. betreibt seit Juli ein Forum auf seiner Internetpräsenz, wo Menschen von „draußen“ mit Menschen von „drinnen“ politische Diskussionen zur Bundestagswahl führen können. Der Umstand, dass auch Inhaftierte bei der anstehenden Wahl ihre Stimme abgeben können, verschwindet gerne im öffentlichen Bewusstsein.
Für viele endet das Gesellschaftsleben hinter dem scheinbar undurchdringlichen Grau der Gefängnismauern. Auch wenn dieses oft so wahrgenommen wird: Ein Gefängnis ist eben kein isolierter Raum, sondern Teil des Systems.
Aus den Augen, aus dem Sinn – mag mancher denken. Sybill Knobloch, Geschäftsführerin von Freiabonnements für Gefangene e.V., weist jedoch auf das Eigentliche hin: „Eine Freiheitsstrafe sollte auf eine erfolgreiche Resozialisierung abzielen.“ Ein Großteil der Gefangenen verlässt nach ein bis fünf Jahren die Haftanstalt. „Integration und Bildung“ lautet demgemäß auch der Leitspruch des gemeinnützigen Vereins, der im nächsten Jahr sein 25. Jubiläum feiert.
„Freiabo“ ermöglicht den Inhaftieren, wie der Name schon sagt, deutschlandweit kostenlose Versorgung mit Zeitungen, teilweise auch Zeitschriften und Büchern, und sichert somit den Zugang zu Informationen. „Die Gefangenen haben praktisch keinen Internetzugang. Man kann also getrost sagen, dass Zeitungen in Haft noch wichtiger sind als draußen“, erklärt Knobloch. Hinzu kommt der Grundzustand jeder Haft: viel Zeit, aber wenig Möglichkeiten, diese sinnvoll zu nutzen. Der Umfang der Bildungsmaßnahmen ist gering und die Ablenkungsmöglichkeiten in den kargen Zellen beschränkt. Zum veränderten Zeitempfinden – in kleinerem Maßstab lässt einen das an Warteraum-Situationen denken, wo man sehr schnell das Gefühl bekommt, Zeit „abzusitzen“ – tritt bisweilen Perspektivlosigkeit, Passivität und vor allem auch Langeweile hinzu.
Jeder Häftling kann sich zwar auf eigene Kosten einen Fernseher anschaffen, jedoch sieht Knobloch ein „Realitätsproblem“ gegeben, wenn das Fernsehen zum primären Medium zur Reflexion der Außenwelt wird. Lesen setzt hingegen ein gewisses Engagement voraus, und auch wenn das selbstbestimmte Schmökern durchwegs auch unterhaltsam gedacht ist, so befindet sich auf der Leseliste – mit über 40 zur Auswahl stehenden Zeitungen – kein Boulevardblatt.
Die taz arbeitet seit Beginn mit Freiabonnements für Gefangene e.V. zusammen und beliefert mit 750 Exemplaren die meisten Gefangenen im Lande. Die Zeitungen werden teilweise von Verlagen kostenlos zur Verfügung gestellt oder durch Spenden finanziert. Der Verein vermittelt auch Briefkontakte und Weihnachtspakete.
Für die Menschen von Freiabonnements für Gefangene e.V. ist es wichtig, diese passive und resignative Haltung der Insassen zu durchbrechen und sie zur aktiven Teilnahme an der Demokratie zu motivieren. Die Bereitschaft, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, und die Reflexion über seine eigene Rolle in der Gesellschaft liegen bekanntlich sehr nahe beieinander. J. aus der Justizvollzugsanstalt Waldeck resümiert: „Auch wenn Gefangene über mehr oder weniger lange Zeit nur sehr eingeschränkt am Leben der Gemeinschaft teilhaben können, sind sie – zum Glück – immer noch ein Teil dieser Gemeinschaft. […] Es gibt aktuell etwa 80.000 bis 85.000 Gefangene in Deutschland. Das wären – wenn jeder sein Wahlrecht nutzen würde – ganz schön viele Stimmen für ein vielleicht etwas resozialisierungsfreundlicheres Justizsystem in Deutschland.“
Gefangene zur Bundestagswahl Gefangene haben grundsätzlich den Anspruch darauf, an der Bundestagswahl teilnehmen zu können. Die meisten Gefangenen sind auf die Briefwahl angewiesen, in manchen Fällen kann auch vor Ort gewählt werden. Die Wahlbeteiligung in Gefängnissen ist erfahrungsgemäß niedrig. Das Forum, das der gemeinnützige Verein Freiabonnements für Gefangene e.V. auf seiner Internetpräsenz eingerichtet hat, dient dem Austausch von Menschen innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern und der politischen Bewusstseinsbildung – auf beiden Seiten, wenn man so will: www.freiabos.de
SARAH ANTONIA BRUGNER