: Feldlager im Klassenzimmer
KONGO Debakel für den Staat: Die M23-Miliz im Osten erobert immer mehr Städte. „Was ist das für eine Armee“, fragt sich Rebellenoberst Kazarama in der eroberten Schule
REBELLENOBERST KAZARAMA
AUS BUNAGANA SIMONE SCHLINDWEIN
Die Grundschule sieht aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen: Stahlhelme, Munitionsgürtel, Kondome, Verbandszeug, Kalaschnikow, Uniformen – alles liegt kreuz und quer in den Klassenzimmern herum. Dazwischen Schulhefte und Tafelkreide. Vor der Schiefertafel, auf der noch vor zwei Wochen der Lehrer Verben konjugierte, türmen sich Munitionskisten.
Rebellenoberst Vienney Kazarama hebt eine Panzerfaust auf. Er schüttelt den Kopf: „Was ist das für eine Armee, die ihre Waffen in Schulen lagert und Schülern ihre Recht auf Bildung nimmt“, sagt er und jagt einige Kinder weg, die sich durch das Chaos wühlen – auf der Suche nach etwas Brauchbarem. Ein junger Mann rennt mit einem Maschinengewehr davon. Kazarama winkt seinen Leibwächtern zu, die Leute zu verscheuchen.
Der große Mann in Uniform war bis Anfang Mai Offizier in Kongos Armee. Dann desertierte er mit Hunderten seiner Kameraden. Verschanzt zwischen den Hügeln im Dreiländereck zwischen Ostkongo, Uganda und Ruanda formierten sie sich zur Miliz M23 (Bewegung des 23. März).
Am Freitag gelang es M23, Bunagana einzunehmen, eine Handelsstadt hoch oben in den Vulkanbergen an der Grenze zu Uganda. „Die Soldaten hatten uns auf unseren Hügeln nahe Bunagana angegriffen und wir schlugen mit voller Kraft zurück“, lächelt Kazamara.
Die 600 in Bunagana stationierten Soldaten der Regierungsarmee ließen alles stehen und liegen – dabei handelte es sich um Elitesoldaten, von Belgiern trainiert und extra an die Front gegen die M23 entsandt. In der Grundschule, wo die Soldaten ihr Quartier aufgeschlagen hatten, steht in einer Ecke des Klassenzimmers noch immer ein Topf Bohnen und Reis auf der erkalteten Feuerstelle. Auf dem Weg Richtung Grenze zogen die Soldaten ihre Stahlhelme aus, Uniformen liegen in den Pfützen. Zusammen mit über 5.000 Einwohnern der Kleinstadt überquerten sie den Schlagbaum und suchten in Uganda Schutz.
Selbst General Vainqueur Mayala, Oberkommandierender der Streitkräfte in der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu, fand sich in Uganda wieder. Er musste von der UN in die Provinzhauptstadt Goma zurückgeflogen werden – nur um offiziell abgesetzt zu werden.
Am Sonntag zogen die Regierungstruppen auch aus der 100.000 Einwohner zählenden Distrikthauptstadt Rutshuru ab, 30 Kilometer westlich von Bunagana. Sie plünderten, bevor am Nachmittag M23-Einheiten einzogen. Von Rutshuru sind es nur noch wenige Stunden auf der Fernstraße in die Provinzhauptstadt Goma.
Auf den staubigen Straßen von Bunagana beobachten die Einwohner skeptisch die Kämpfer der M23. Noch benehmen sich die Rebellen. Bei den Kämpfen um Bunagana sind keine Zivilisten umgekommen. Doch niemand will öffentlich reden.
Hoch oben auf einem Hügel, von welchem aus man die Grenze und das Stadtzentrum überblicken kann, haben die M23-Einheiten eine verlassene Militärbasis bezogen. Ein russischer Raketenwerfer zielt über die Hausdächer hinweg. Wenige Meter unterhalb haben sich indische UN-Blauhelme hinter Sandsäcken verschanzt. Bei der Schlacht um diese Position war am Freitag ein indischer Blauhelmsoldat erschossen worden.
„Wir wollen die Regierung an den Verhandlungstisch zwingen“, erklärt Kazarama, während er auf dem Hügel den Raketenwerfer vorführt. Ein jüngst veröffentlichter UN-Bericht beschuldigte Ruanda, den M23 Waffen und Nachschub zu liefern. Kazarama streitet dies alles ab: „Alle Waffen und Munition, die wir haben, stammen von den verlassenen Lagern der kongolesischen Armee“, sagt er. Stattdessen ist der Milizsprecher bemüht, Kongos Regierung die Schuld in die Schuhe zu schieben: „Wir haben der Regierung lange genug Zeit gegeben, unsere Forderungen zu erfüllen, und sie haben es nicht getan, deswegen mussten wir zu anderen Mitteln greifen.“
Die M23 wurde von Offizieren der ehemaligen Tutsi-Rebellenarmee CNDP (Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes) gegründet. Der CNDP unter ihrem Gründer Laurent Nkunda beherrschte bereits 2008 weite Teile von Nord-Kivu. 2009 integierte sie sich nach einem Friedensvertrag in die Armee. „Damals hatten wir Bedingungen gestellt“, sagt Kazarama und nennt als Beispiel den verschärften Kampf gegen die ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) sowie bessere Ausrüstung, Bezahlung und Lebensbedingungen für Soldaten. „Doch diese Bedingungen wurden nie erfüllt.“
Kazarama selbst verdiente als Oberst in der Regierungsarmee 75 Dollar im Monat, berichtet er: „Wie soll ich davon denn meine fünf Kinder durchfüttern?“ Oft sei der Sold von seinen Vorgesetzten gestohlen worden. Gleichzeitig würden die Generäle in Kinshasa immer reicher. „Unser Land wird von Räubern und Gangstern regiert, die sich durch Kriege bereichern.“