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On the Road

Wolfram Hannemanns Doku „Kultourhelden“ zeigt zwei Wanderkino-Betreiber auf ihren Fahrten durchs Land. Bei Filmvorführungen in Gemeindesälen und Open Air, mit bangem Blick in den Himmel über BW.

Musik, Wind um die Ohren und Käppi auf dem Kopf, so geht er auf Tour: Gerhard Göbelt in seinem Kinomobil. Foto: Filmstills: www.kultourhelden.de

Von Rupert Koppold↓

Der goldene Vorhang geht auf! Die Leinwand wird mit bewegten Bildern bespielt! Das Kino ist nach langer, langer Wartezeit zurück! Nun ja, noch nicht ganz. Oder nur ausnahmsweise. So richtig gehe es wohl erst Anfang Juli los, sagt Ralf Helmreich, Betreiber der traditionsreichen und preisgekrönten Kinothek Obertürkheim, der auch davon spricht, dass sich in der kinolosen Corona-Zeit eine Menge an noch nicht gezeigten Filmen angestaut habe. Ob sich da im normalen Spielbetrieb trotzdem eine Lücke auftun könnte für den Film, der nun in der Kinothek seine Pressepremiere feiert?

„Kultourhelden“ heißt er, und sein Thema ist das Kino selbst. Genauer gesagt: das Wanderkino, das Filme dahin bringt, wo es schon lange kein Kino mehr gibt. Noch genauer gesagt: Es geht um Gerhard Göbelt und Klaus Friedrich, beide Jahrgang 1956, die seit Jahrzehnten durch Kleinstädte und Dörfer touren, in Gemeindesälen ihre Leinwände aufbauen oder bei Open-Air-Veranstaltungen bange Blicke in den Himmel werfen. Der Regisseur Wolfram Hannemann, Jahrgang 1958, kennt seine beiden von Ludwigsburg respektive von Esslingen aus operierenden „Kultourhelden“ schon lange, er hat sie zum Beispiel, so wie auch der Schreiber dieses Textes (Jahrgang 1953), immer wieder bei Pressevorführungen in Stuttgart getroffen.

Göbelt und Friedrich … hmm, das klingt in diesem Fall zu förmlich und distanziert, also: Gerhard und Klaus. Sie sind nicht nur Filmvorführer, sondern auch Filmliebhaber, sie haben deshalb das, was sie später in Lenningen, Nürtingen, Eberbach, Brackenheim, Oppenweiler oder Allershausen aufführen, vorher selber gesehen. Sie wollen nämlich wissen, was sie ihrem Publikum vorsetzen. Was zwar nicht heißt, dass jeder Film in ihrem Angebot genau ihrem eigenen Geschmack entspricht, was aber ausschließt, dass sie etwas zeigen, was ihnen ganz und gar gegen den Strich geht. Und andererseits auch ausschließt, dass sie Filme vorführen, die ihnen zwar selber gefallen, von denen sie aber ahnen, dass sie an ihren Abspiel­orten nicht gut laufen würden. Und deshalb auch nicht laufen.

Ein Kinoliebhaber ist auch Wolfram Hannemann, von nun an Wolfram genannt. Mit seinen beiden Porträtierten Gerhard und Klaus verbindet ihn, neben den Erfahrungen einer in den 1950ern geborenen Generation, eine gewisse Boden­ständigkeit. Was hier heißt: eine nicht nur luftig-intellektuell dahinschwebende, sondern eine quasi geerdete Begeisterung fürs Kino. Denn Gerhard, Klaus und Wolfram kennen sich auch aus mit der Technik. Sie wissen Bescheid über Formate und Ton, sie haben viele Veränderungen mitgemacht und Projektoren bedient und Filmspulen gewechselt, als die Vorführungen noch nicht digital waren und statt eines elektronischen Codes zum Entschlüsseln der Festplatte noch richtige Kopien geliefert wurden.

Kino mit Gewicht

Filme vorführen in analogen Zeiten, das war mal harte Arbeit. Das müsse jetzt doch leichter gehen, wird Gerhard in „Kultourhelden“ gefragt. Nein, sagt er, jedenfalls nicht für ihn und seinen Ein-Mann-Betrieb. Und wenn man sieht, wie er in seiner Wohnung gerade das Equipment zusammenstellt, einen mit Kisten beladenen Rollwagen über die Schwelle der Terrassentür hebt und – „Aufpassen auf den Rücken!“ – schweres Gerät in seinen Lieferwagen wuchtet, dann ist die Frage schon visuell beantwortet. Man spürt also, weil die „Kultourhelden“-Kamera mit viel Verständnis für die Sache sozusagen mitarbeitet, schon beim Zuschauen, wie viel Gewicht das Kino hat. Das komplette Be- und später das Ausladen und Aufbauen wird natürlich nicht in Echtzeit gezeigt, da greift Wolfram auf das Zeitraffer-Stilmittel zurück.

Und dann setzt die Musik ein, Gerhard hat seine Kappe aufgezogen, er sitzt am Steuer, vor ihm die Straße, und man denkt jetzt ein bisschen an Wim Wenders’ Road Movie „Im Lauf der Zeit“ aus dem Jahr 1976. Da fährt einer mit dem Laster übers Land und repariert in den letzten Kinos die Projektoren. In gewisser Weise ist das Wenders-Werk also der Vorfilm zu „Kultourhelden“, das mit seinem langsam-spröden Erzählen in Schwarzweiß und seinen fast drei Stunden Länge im Wanderkino von Gerhard oder Klaus aller­dings keine Chance hätte. Gerhard fand sich ja sogar mal als einziger Zuschauer wieder, als er „Casablanca“ im Original mit Untertiteln spielte. Der größte Erfolg für ihn und Klaus war „Titanic“. So lange Schlangen! Vor allem die Frauen seien, so Klaus, nach der Vorstellung gleich wieder rein in die nächste.

Erinnerungen und Anekdoten: Die beiden sitzen in einem Kinosaal und erzählen. Klaus, ausgebildeter Grund- und Hauptschullehrer mit Karussellbetreiber- und Kinokneipen-Familienhintergrund, und Gerhard, ebenfalls Lehrer, aber nach dem Studium ohne Anstellung, haben in den 1980er-Jahren für das Kinomobil Baden-Württemberg gearbeitet, einen eingetragenen Verein. Als ihnen die Programmplanung entzogen werden sollte – mit Tendenz zum Arthouse-Kino –, haben sie sich selbstständig gemacht. Der enthusiastische Klaus mit strahlendem Optimismus, der introvertiertere Gerhard als Familienvater mit einer gewissen Skepsis. Aber es ging gut, die meisten ihrer Abspielorte blieben ihnen treu, lange Jahre betrieben sie ihr Geschäft zusammen. Seit 1998 gehen sie getrennt auf Tour, beide nun als Ein-Mann-Unternehmen.

Aufbauarbeit: Klaus Friedrich im Gemeindesaal.

Und es geht immer noch gut, auch wenn die allerbesten Wanderkino-Jahre vorbei sind. Gibt es keine Querelen, keinen Konkurrenzneid? „Als wir unsere gemeinsame Firma aufteilten“, schreibt Gerhard auf Nachfrage, „haben wir die Gemeinden aufgeteilt. Und da versucht auch keiner, davon etwas dem anderen abspenstig zu machen. Und sonst kann jeder neue Orte annehmen, wie er möchte. Da gibt es keine Zwänge und auch keine Konkurrenz.“ Auch mit dem von der Medien- und Filmgesellschaft BW geförderten Kino­mobil e. V., ihrem früheren Arbeitgeber, haben sich Gerhard und Klaus arrangiert, zumal in dessen Satzung in Bezug auf die Vorführorte steht: „In der Gemeinde und unmittelbaren Umgebung (10 km) darf es kein gewerbliches Kino geben. Darunter fallen auch gewerbliche Wanderkinos.“

Horrorfilm im Steinbruch? Kulturelle Grundversorgung!

Gerhard ist vor dem Filmstart immer noch angespannt und sehr erleichtert, wenn im Saal die Technik funktioniert und beim Open Air das Wetter hält. Klaus ist der Mann für Herausforderungen und Events. Er hat in einem Steinbruch bei Cleebronn schon Horrorfilme vorgeführt und sich gefreut, wenn das Publikum mit klammem Gefühl nachts durch den Wald nach Hause ging. Und er hat sich die Rechte am Heimatfilmklassiker „Die Fischerin vom Bodensee“ gekauft, eine Kopie digitalisieren lassen und auf einer Fähre vor Friedrichshafen gezeigt. Von dieser und anderen Open-Air-Vorführungen sind sogar Drohnenaufnahmen zu sehen. Überhaupt hat Wolfram seine selbst finanzierten „Kultourhelden“ aufwendig und liebevoll inszeniert und mit Plakaten, Zeitungsschnipseln oder Filmausschnitten versehen.

Auf der Bodenseefähre zeigte Klaus „Die Fischerin vom Bodensee“.

„Kultourhelden“ ist am Ende auch eine regional grundierte Kinogeschichte. Mit zwei Protagonisten, die dafür sorgen, dass diese Geschichte weitergeht, auch auf dem Land und in der Provinz, über die sich Gerhard und Klaus übrigens nie erheben. Sie bieten ihrem Publikum Unterhaltung, aber sie sind auch kulturelle Grundversorger.

Beide haben sie ihren Beruf gefunden, vielleicht sogar ihre Berufung, das Wort aber wäre ihnen wohl zu pathetisch. Erst ganz am Schluss spricht Klaus mal, und eher nebenbei, von einem Kulturauftrag. Doch es schwingt in „Kultourhelden“ auch etwas mit, was man als Abschiedsstimmung bezeichnen könnte. Gerhard und Klaus sind eben nicht mehr die jüngsten, und Nachfolger fürs Geschäft haben sich noch nicht gefunden. Ein paar Jahre seien aber noch drin, sagt Gerhard. Und Klaus, na, der steckt sowieso immer voller Projekte.

Wann Wolfram Hannemanns Dokumentarfilm „Kultourhelden“ in die Kinos kommt und ob ihn auch Wanderkinos zeigen, erfährt man auf der Website zum Film. Die Homepages der beiden Protagonisten: www.moki-ludwigsburg.de (Gerhard Göbelt) und www.mobileskino-bw.de (Klaus Friedrich).

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