: Platt mut blieven
Niedersachsen spart an seinem unverwechselbaren kulturellen Erbe: Das Wissenschaftsministerium streicht die Abteilung für niederdeutsche Sprache und Literatur aus dem Angebot der Uni Göttingen
aus GöttingenReimar Paul
Stummer Protest in einem dunklen Gewölbe unter der Erde in Göttingen: Nur ein paar Kerzen spendeten trübes Licht. „Niederdeutsch am Tiefpunkt – Bildung im Keller“ stand auf einem Transparent. Drumherum hockten rund 15 Studierende auf dem Fußboden. Sie wollten mit der Aktion gegen das von der Politik verordnete Ende der wissenschaftlichen Erforschung des Plattdeutschen protestieren.
Angekündigt ist es seit Dezember, jetzt wird es verwirklicht: Der einzige voll ausgestattete Lehrstuhl für Niederdeutsche Sprache und Literatur in Deutschland fällt dem Sparprogramm der niedersächsischen Landesregierung zum Opfer. Die Abteilung an der Philosophischen Fakultät werde aufgelöst, bestätigte die Uni Göttingen gestern. Lehrstuhlinhaber Professor Dieter Stellmacher geht mit Ablauf des Sommersemesters in denRuhestand, gleichzeitig läuft der Vertrag des einzigen wissenschaftlichen Mitarbeiters aus.
Der Lehrstuhl wurde vor 50 Jahren gegründet, seine Geschichte geht aber auf die Anfänge der Göttinger Uni zurück: 1751 forderte der Orientalist und Theologe Johann David Michaelis in seiner Antrittsvorlesung die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Regionalsprache. Stellmacher, Jahrgang 1939, ist seit 1976 ordentlicher Professor für Niederdeutsch. Nicht bedroht ist nach Uni-Angaben das weitere Erscheinen des „Niedersächsischen Wörterbuches“: Bislang liegen sieben von zehn geplanten Bänden vor, die das Nachschlagewerk zum größten jemals erschienenen Wörterbuch des Niederdeutschen machen.
„Göttingen war der einzige Standort in ganz Deutschland, wo man Niederdeutsch noch als vollwertiges Magisterhauptfach studieren konnte“, beklagt ein Student. Zugleich konterkariert die rigide Rotstift-Politik die bisherigen Bemühungen der Landespolitik, das Idiom in Schul-Lehrplänen zu verankern und die Lehrerausbildung in Sachen Platt voranzutreiben.
Dennoch blieben die Protestbriefe, die niederdeutsch predigende Pastoren oder Trachten- und Theatergruppen ans Wissenschaftsministerium in Hannover geschickt hatten, ebenso erfolglos wie die Kritik etlicher Wissenschaftler oder die Interventionen des niedersächsischen Heimatbundes und des Bundesrates für Niederdeutsch. Das Gremium, das sich aus je zwei Delegierten der acht Länder rekrutiert, in denen Platt gesprochen wird, wies darauf hin, dass der niedersächsische Landtag die Regionalsprache erst kürzlich als unverwechselbares kulturelles Erbe des Bundeslandes bezeichnet hatte.
In Niedersachsen gibt es noch rund 1,8 Millionen Plattdeutsch Sprechende, bundesweit sollen es fast sechs Millionen sein. Noch deutlich höher liegt die Zahl derjenigen, die Platt verstehen. Ohne die Förderung und wissenschaftliche Erforschung dieser Sprache werde ein Teil von ihr aber unwiderruflich verloren gehen, befürchten Fachleute.