Die Schwingung des Kartographen

Brüche und Unschärfen in der Landschaftsdarstellung demonstrieren die akkurat wirkenden Zeichnungen Nanne Meyers – in der Kunsthalle

Man zeichnet einfach nicht so schnell, wie man fliegt. Etwas bleibt immer, das nicht gesehen, nicht erfasst wurde. Irgendwo muss man immer den Stift neu ansetzen, wenn man versucht, aus dem rasenden Flugzeug heraus Landschaften zu zeichnen. Und genau das hat sie getan, die Zeichnerin Nanne Meyer, die so zunächst ihre Flugangst bekämpfte. Eine Auswahl ihrer Werke ist derzeit im Saal der Meisterzeichnung in der Kunsthalle zu sehen.

Scheinbar akkurate, halb abstrakte Darstellungen von Städten und Landschaften hat die 1953 in Hamburg geborene, inzwischen in Berlin lebende Künstlerin geschaffen; Höhenzug-ähnliche Linien fließen über das Papier – und doch verhehlt sie die unvermeidlichen Brüche nicht: Deutlich sichtbar hat sie immer wieder angesetzt, hat Erdkrümmung unmittelbar erfahrbar gemacht, vielleicht auch geknickte Zeit. Denn wie authentisch ist letztlich das eigene Schauen, das diese Zeichnungen dokumentieren; wie genau kann man sagen, man habe Realität wahrgenommen? Wer gesteht es ein, das Blinzeln, das Wichtiges unterschlagen kann? Jene Brüche in Handeln und Denken, die durch sekundenschnelles Abgelenkt- und Herausgerissensein entstehen?

Niemand kann ihnen genau nachspüren, diesen Phänomenen; allenfalls sichbar zu machen sind sie – anhand empirischer Experimente wie der Meyer‘schen, die zudem ein Weiteres fragt: Wie groß muss die räumliche Ferne sein für die Abstraktion? Von welcher Flughöhe an ist es gerechtfertigt, nur noch Höhenzüge und keine Details mehr zu zeichnen – und ab wann hat die Zeicherin das „Recht“, fremde, in Atlanten vorgefundene, Abstraktionen hinzuzunehmen und mit ihren eigenen Wolken zu übermalen?

Unschärfen en masse finden sich auf diesen so akkurat wirkenden Zeichnungen. Auch Nanne Meyers Versuch, kartographische Höhenlinen mit Bleistift nachzuzeichnen, den Schwingungen des Kartographen zu folgen, wirkt bewusst gesetzt: Nicht nur, dass sie sich hier von der eigenen Empirie hat entfernen müssen, um Welt – vollständiger? – abzubilden. Scheitern muss auch der Versuch, auf diese Art Akkuratesse zu erzielen. Denn auch die exakteste Karte ist nicht authentisch, auch sie folgt nivellierend-abstrahierenden Regeln, so wie für das wohltemperierte Klavier willkürlich gleichmäßige Tonabstände jenseits jeder Naturtonfrequenz festgelegt wurden. Solche Töne klingen gefällig, solche Karten wirken ansprechend und reichen dem Hirn leichte Kost. Natürliche Asymmetrien aber unterschlagen beide.Petra Schellen

Nanne Meyer – Luftblicke. Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr, Kunsthalle (Saal der Meisterzeichnung, Altbau-Treppenhaus); bis 15. 9.Zur Ausstellung erscheint von Nanne Meyer das Künstlerbuch „Die relative Vermessung der Wolke“