: Gesprächsnotizen sind wichtig
NEU IN KREUZBERG Wer dämlich danebensteht, erfährt auch was. Eröffnung der einzigen Galerie des japanischen Stars Takashi Murakami in Europa
Nach monatelangen geheimen Renovierungsarbeiten ist die Galerie Hidari Zingaro, auf Deutsch heißt das angeblich und mysteriöserweise „Linke Zigeuner“, endlich so weit, ihre Glastüren zu öffnen. Und wen treffe ich? Den Krimi-Autor Jürgen Ebertowski, der viel mehr Leute hier im Dreh kennt als ich, weshalb er auch den Vermieter von Takashi Murakami kennt, und mit dem unterhält er sich gerade. Mit dem Vermieter natürlich, nicht mit Takashi Murakami, dem die Galerie Hidari Zingaro gehört.
Über Takashi Murakami sagt der Vermieter, er sei so was wie der Jeff Koons Japans und würde schon mal irgendwas für eine Million verkaufen oder für Louis Vuitton Taschen entwerfen. Aber den Mietvertrag habe er sich in zwei Sprachen übersetzen lassen, einschließlich Kleingedrucktem und Hausordnung, ab wann kein Krach mehr gemacht werden dürfe. Und dann habe er zwei Monate lang darüber gebrütet. Jetzt befindet sich die einzige Galerie Takashi Murakamis in ganz Europa in der Dieffenbachstraße in einem ehemaligen Edeka-Laden.
Die Quasselstrippe Jürgen Ebertowski quasselt plötzlich mit einer Japanerin mit Monika-Haarschnitt auf Japanisch. Ich sehe da natürlich alt aus, weil ich nur dämlich danebenstehen kann. Aber es lohnt sich, dämlich danebenzustehen, weil ich erfahre, dass die zwei extrem jungen Künstlerinnen und der eine nur ein bisschen ältere junge Künstler alle Schüler bzw. Schülerinnen von Takashi Murakami sind und für drei Tage nach Berlin eingeflogen wurden, und dass die Bilder zwischen 1.000 und 20.000 Euro kosten. Das erfahre ich natürlich nicht, weil ich was verstünde, sondern weil der Japanologe Jürgen Ebertowski es mir übersetzt. Er hat sogar ein japanisches Buch mitgebracht, in dem er manchmal ein bisschen blättert und von dem ich nicht mal wüsste, wie rum ich es halten müsste.
Wir rechnen grob zusammen, wie viel Bilder Murakami verkaufen muss, um auf seine Kosten zu kommen. Das ist aber gar nicht einfach, weil so viele Japaner herumlaufen, von denen ich nicht weiß, ob sie jetzt zu dem Laden gehören. Hinter der Bierbank, auf der Apfelsaft und Mineralwasser stehen, halten gleich drei Japanerinnen die Stellung, obwohl eine Person mit dem Job nicht überlastet wäre. Eine ganz kleine Japanerin mit Brille hinter dem Tresen macht sich ständig Notizen, aber ich weiß nicht, worüber. Die Japanerin mit Monika-Haarschnitt ist wahrscheinlich die Kuratorin, hat aber noch eine andere Japanerin über sich, und wenn die mit jemandem spricht, steht die andere daneben, grinst wie fünf Honigkuchenpferde, kichert alle zwei Sekunden, nickt alle drei Sekunden eifrig und macht sich alle vier Sekunden eine Gesprächsnotiz, die dann von jemandem abgetippt werden muss, um Takashi Murakami als Arbeitsnachweis vorgelegt werden zu können.
So stelle ich mir das zumindest vor. In den zwei sehr übersichtlichen Ausstellungsräumen befinden sich auch der Künstler und die zwei Künstlerinnen, von denen mich die 21-jährige sehr fasziniert, denn oft zieht sie ihre Schultern hoch, lässt ihre Arme wie zwei überflüssige Accessoires vorne herunterbaumeln und streckt den Kopf nach vorne, als würde sie irgendwas nicht gut sehen. Am beeindruckendsten aber ist ihre Fußhaltung, denn sie kann ihren linken Fuß um 130 Grad nach hinten drehen.
Ein Mann mit einem gestreiften, etwas abgetragenem Jackett und einem Rucksack, wilden Haaren und Sandalen kommt zufällig vorbei und betrachtet sich die illustrativen Manga-Bilder. Vor der Tür packt er einen Stapel Postkarten aus dem Rucksack. Er hält sie mir unter die Nase. „Interesse an Postkarten? Selber jemacht, wa!“ Das sieht man, denke ich, und schüttle den Kopf, aber ich muss zugeben, dass er hier als Kunsthandwerker gar nicht mal so verkehrt ist. Die Vernissage-Besucher lassen ihn pikiert abblitzen. Ich schäme mich ein wenig, dass ich ihn auch habe abblitzen lassen. Für eine Postkarte wäre noch Platz an meiner Wand gewesen. Bei den Manga-Bildern wüsste ich gar nicht, wohin damit. KLAUS BITTERMANN
■ In der Dieffenbachstraße 15, Kreuzberg, Di.–Sa. 11–20 Uhr