Schreiner will an Neuwahl nicht schuld sein

Bundestagslinker weist angebliche Darstellung in Schröders Neuwahl-Dossier für den Bundespräsidenten zurück

BERLIN taz ■ Der SPD-Bundestagslinke Ottmar Schreiner will immer noch nicht schuld daran sein, dass Kanzler Gerhard Schröder am 22. Mai Neuwahlen ankündigte. „Dass man über Kurskorrekturen diskutiert, wenn neun Landtagswahlen in Folge verloren gehen, müsste eine demokratische Selbstverständlichkeit sein“, erklärte Schreiner gestern der taz. „Die SPD ist doch keine stalinistische Partei.“

Schröder soll in einem Dossier für den Bundespräsidenten Horst Köhler seine Regierungsnotlage und also die Notwendigkeit von Neuwahlen vor allem damit begründet haben, dass einige SPD-Linke vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai weitreichende politische Änderungen verlangt hätten. Andernfalls wären sie zur WASG gewechselt. Hierzu berichtete die Leipziger Volkszeitung von einem Treffen der Linken um Schreiner, auf dem über den Übertritt von bis zu 12 Abgeordneten beratschlagt worden sei. Dann hätte die rot-grüne Regierung ihre Bundestagsmehrheit verloren.

Schreiner dementierte gestern „zum 77. Mal“, dass es ein solches Treffen gegeben habe. Auch sei ihm „schleierhaft“, wer die besagten 12 hätten sein können. „Meinetwegen soll der betreffende Journalist von der Leipziger Volkszeitung doch als Zeuge zum Bundespräsidenten gerufen werden und dort Ross und Reiter nennen“, sagte Schreiner der taz. Dann werde sich herausstellen, dass der Bericht „frei erfunden“ gewesen sei.

Tatsächlich hatte Schreiner vor dem absehbaren Untergang der SPD bei der NRW-Wahl am 22. Mai erklärt, er verlange als Lehre daraus einen anderen Kurs in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Darin wurde er zwar von anderen SPD-Bundestagslinken gestützt. Doch nur Schreiner ließ es damals öffentlich – und sehr vielsagend – offen, ob er sonst zur Linkspartei gehen wolle.

Gestern nun sah sich der Saarländer unfreiwillig zu ernst genommen. Er wehrte sich dagegen, dass sein Verhalten im Nachhinein zur „Gefahr“ für Schröder aufgeblasen werde. „Aber ich kann niemanden an seiner subjektiven Einschätzung hindern.“ Schreiner will und soll für die Saar-SPD auch in den nächsten Bundestag einziehen.

Regierungssprecher Béla Anda erklärte gestern, dass das „Dossier“, das er lieber „Dokumentation“ nennen wollte, mittlerweile bei Horst Köhler angekommen sei. Es bestehe aus einer verfassungsrechtlichen Einschätzung und einer Zusammenstellung von Presseberichten. Innen- und Justizministerium sowie das Kanzleramt hätten daran gearbeitet. Über Inhalte könne „nur der Bundespräsident Auskunft geben“, sagte Anda.

Köhler muss bis zum 22. Juli prüfen, ob Schröder tatsächlich nicht mehr das notwendige Vertrauen des Bundestags genoss. Seinen Fragenkatalog hierzu hat der Kanzler durch das Dossier nun beantwortet. Es wird erwartet, dass Köhler der Darstellung Schröders folgt. Dann kann am 18. September gewählt werden.

ULRIKE WINKELMANN