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Archiv-Artikel

Mao wird zitiert, alles dreht sich im Kreis

KINO Künstler sehnen sich danach, revolutionäre Existenzialisten zu sein. Zumindest in dem brasilianischen Film „Os Residentes“

Eine junge Frau geht an einem gelben Gitter vorbei und klappert mit ihrem Schlüssel daran. Sie sagt „I was hysteric about my mouth“ und erzählt von ihrem Weg zum ersten Kuss. Von oben aufgenommen sieht man Einzelne über Betonboden gehen. Zu stillen Bildern gibt es Klaviermusik. Eine junge Frau und ein Mann sprechen über eine Party von früher. Die Gesichter sind schön. Vielleicht war es auch keine Party, sondern eine Performance, die im Gefängnis endete. Jemand malt die Buchstaben des Wortes „Ästhetik“ an Spinde. In der „Ästhetik“ liegt auch die „Ethik“, zumindest, wenn man das „h“ verschiebt. Es gibt Reden über Kunst, die an 1968 erinnern. Die Kunst soll helfen auf dem Weg zum Neuen Menschen. Eine Frau mit hellen Haaren wurde entführt. Ihre Hände sind gefesselt. Ein Kind schaut zu.

In dem brasilianischen Film „Os Residentes“ von Tiago Mata Machado, der letztes Jahr im Forum der Berlinale gezeigt wurde, ist alles sehr schön arrangiert. Man weiß nur nicht so recht, worum es eigentlich geht. In der Inhaltsbeschreibung steht, dass es um die Bewohner eines Abrisshauses geht, die angetreten sind, um „einer Welt, der die Utopien und die Poesie abhandengekommen sind, den Kampf anzusagen“.

Vieles ist Reenactment: Es führt zu nichts, alles dreht sich im Kreis. Ein Pärchen sitzt auf dem Bett. Sie hatten wohl Sex. Sie hatte nichts davon. Sie fühlen sich einander wieder fremd. Der Mann redet entsetzlich viel, um die Beziehungsgefühle zu rationalisieren; die Frau sagt, sie glaube nicht an das, was sie fühle. Man kennt solche Sachen und weiß, dass sie sprachlich nicht zu lösen sind. Er sagt, ich liebe dich, sag mir, wie soll ich es dir beweisen?

Bärtchen aus Schamhaar

Dass es sich bei ihrem Verhältnis – via Hegel – um das Verhältnis von Herr und Sklave handeln würde. Man möchte sich an dem Gespräch beteiligen und sagen, geht’s nicht einfacher? Es ist das Verhältnis zwischen Liebendem und Geliebten. Was soll das? Schließlich schneidet sich der Mann seinen Bart ab. Die Frau schneidet sich daraufhin ihre Schamhaare ab und formt daraus einen Bart, den sie sich ins Gesicht klebt.

Die Gespräche sind therapeutisch; die Künstler wären gern nichts Besseres, sondern Arbeiter im Reich der sinnlichen Empfindungen, pantomimisch wird der Nahkampf geprobt, Vorträge werden gehalten; die Künstler sehnen sich danach, revolutionäre Existenzialisten zu sein, Mao wird zitiert. In einem Fahrstuhl, der durch einen Rohbau fährt, soll ein jüngerer Mann einen älteren erstechen. Alles dreht sich im Kreis. Eigentlich gibt es keine Außenwelt. Dafür sehr schöne Naturaufnahmen mit Saxofonbegleitung.

Beim Zuschauen entwickelt sich eine gewisse Genervtheit; mit diesem ganzen 68er-Quatsch ist man ja groß geworden. Alles scheint so prätentiös zu sein. Andererseits ist „Os Residentes“ wie eine kurze, anstrengende Urlaubsreise in eine zugleich fremde und allzu bekannte Welt und irgendwie doch anregend. Zumindest danach.

DETLEF KUHLBRODT

■ „Os Residentes“ (The Residents). Regie: Tiago Mata Machado, Brasilien 2010. Kinostart: 12. Juli 2012 12.–18. Juli, tgl. im Kino Arsenal