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Archiv-Artikel

Das Verschwinden der Sehnsucht

WEISSER ELEFANT Im Juni 1987 eröffnete in Ost-Berlin die Galerie Weißer Elefant. Sie wurde schnell zum legendären Ort, an dem der Aufbruch in der DDR sichtbar wurde. Jetzt feiert die letzte kommunale Galerie Mittes Jubiläum

Räume zum Erzählen zu bringen, ist ein wichtiger Strang im Konzept der Galerie

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Was Ralf Bartholomäus stolz macht, ist zu verfolgen, wie die Künstlerinnen und Künstler, die bei ihm erste oder frühe Ausstellungen hatten, für andere Galeristen interessant werden. Das klappe oft noch nicht mit der ersten Ausstellung, aber häufig mit der zweiten, überlegt er. Vor seinem inneren Auge erscheinen die aufwändigen Emaillearbeiten von Astrid Köppe, die mit ihren vegetabilen und anthropomorphen Zeichnungen dann zur Galerie Fruehsorge kam. Oder die großen, in den Raum ragenden Zeichnungen von Pia Linz, die gerade im Folkwang Museum Essen ausstellt. Er freut sich, wenn er hört, dass ein Museum Interesse am Ankauf einer Skulptur anmeldet, wie an der Haltestelle mit freundlichen Liegesitzen, die Mariana Vassileva zuerst im Hof seiner Galerie in der Auguststraße 21 aufgestellt hat. Zwölf Jahre ist das her, und es war ein großer Kraftakt für die Künstlerin.

Was Bartholomäus hingegen traurig stimmt, sind die Geschichten derer, die von ihrer Kunst nicht leben können und dann doch noch eine andere Ausbildung, einen nächsten Beruf ergreifen. Er kennt viele solcher Geschichten, von den traurigen wie von den erfreulichen. Seit 25 Jahren leitet er die Galerie Weißer Elefant.

Vor dem Ende des Staats

Die Galerie Weißer Elefant: Wer in den ersten Jahren dort ausstellte, noch in der Almstadtstraße, ist heute nicht selten sehr bekannt. Die Fotografin Gundula Schulze etwa, die im vergangenen Jahr mit einer großen Retrospektive bei C/O Berlin und in der Akademie der Künste gewürdigt wurde. Else Gabriel und Via Lewandowsky, deren Performances im Weißen Elefanten im Juni 1989 legendär wurden, als Zeichen das Aufbruchs in den Künsten der DDR, kurz vor dem Ende des Staates. Es gab nicht viele Orte in Ostberlin, an denen das Rumoren in der Kunstszene, das Abstreifen von Konventionen, das Verlieren der Angst vor der Kontrolle und die Lust am Komplizierten öffentlich sichtbar werden konnte – die Galerie Weißer Elefant, am 18. Juni 1987 eröffnet, gehörte dazu.

Es war eine Zeit der Ermutigung, etwas zu riskieren. Aber schon 1990 schrieb Ralf Bartholomäus unter dem Pseudonym Fritz Viereck in der taz einen Text über ein neues Problem der in der DDR sozialisierten Intellektuellen: das Verschwinden der Sehnsucht und des Mangels. Damit hatte sich auch der Kontext geändert, vor dem die Kunst gelesen wurde. Es begann eine Zeit des Experimentierens und der Suche. Den Erwartungen an die Galerie, dort etwas von politisch widerständiger Bedeutung zu sehen zu bekommen, war nicht einfach zu entsprechen.

1998 zog die Galerie um, in ein Haus des Kulturamtes Mitte in der Auguststraße in einem ehemaligen Schulgebäude. Mit 15 Künstlerinnen und fünf Künstlern zog Ralf Bartholomäus in die Kellerräume der Schule und noch heute denkt er, dass deren ortsbezogenen Installationen für ihn zu einer Zweiten Schule des Sehens wurden. Wie sie unterirdische Becken mit Schultinte füllten, dem Rhythmus einer Treppe mit einem anderen Rhythmus antworteten, mit Wollfäden in die Dunkelheit zeichneten, und aus Fragmenten des Verfalls kleine poetische Studien herauslasen – das wurde für ihn zum „neuen Glanz“. Räume zum Erzählen bringen, und das oft mit minimalen Mitteln, ist seitdem ein Strang im Konzept der Galerie.

Drei kommunale Galerien hatte der Bezirk Mitte in den Neunzigern, heute ist allein der Weiße Elefant als ein Ort übrig geblieben, der frei von den ökonomischen Zwängen eines Galeristen, der sein Geschäft über den Verkauf finanziert, planen kann. Eine kleine Nische, die in der Auguststraße von ökonomisch immer potenteren Nachbarn eingerahmt wird: Etwa vom Me Collectors Room auf der gegenüberliegenden Straßenseite oder dem Galerien- und Gastronomieverbund in der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule ein paar Häuser weiter. Das färbt ab auf die Wahrnehmung der bescheidenen Galerieräume, die teils sehr schmal und schon ein wenig runtergerockt wirken. Meistens aber gelingt es den Künstlern, das mit ihren sensiblen Arbeiten vergessen zu lassen – für den behutsamen Umgang mit dem Gegebenen, für einladende Gesten gegenüber dem Besucher, auch für versponnene Fantasien stehen viele, die hier gearbeitet haben. Das zeigt auch die aktuelle Ausstellung von Nana Kreft, die mit einfachen Materialien, Pappen hauptsächlich und Fotografien, die Schwelle zwischen Zwei- und Dreidimensionalität mehrfach überschreitet. Man muss genau hinschauen und überlegen, wie sich der dargestellte und der reale Raum zueinander verhalten. Wie beide sich ineinander verschachteln und miteinander kokettieren.

Da sei das Hirn so beschäftigt, führt Bartholomäus aus, dass man von vielen anderen Dingen abrücken und absehen könne. So machen Ausstellungen in seinen Augen glücklich. Man muss sich darin bewegen, Perspektiven ausprobieren. Der Betrachter wird angesprochen, viel mehr als bei einem Künstler, dem es vor allem um die Selbstdarstellung zu tun sei.

Eine anderer inhaltlicher Strang der Galerie ist die Beschäftigung mit Berlin, der Veränderung, aber auch der DDR-Vergangenheit. Im Hof sind große Fotos an einer Backsteinwand zu sehen, die den Abbau der DDR dokumentieren, den Abriss des Palasts der Republik, aber auch einen Trabi mit Storchennest. Vor diesen Bildern von Stefan Schönbaumsfeld fotografieren sich viele Touristen. Und hier hat Ralf Bartholomäus auch einen seiner nächsten Künstler gefunden, Christian Appel, der da saß und zeichnete, um sich den für ihn neuen Ort anzueignen.

Ornament & Verbrechen

Wenn die Galerie ihr Jubiläum dieser Tage mit einem Konzert von Robert Lippok begeht, hat auch das seinen Grund. Die Brüder Robert und Ronald Lippok, deren Band Ornament & Verbrechen zum Underground der DDR gehörte, zeigten dort ihre erste gemeinsame Ausstellung. Statt eines Katalogs gab es eine Schallplatte. Dass sie just dieses Jahr wieder ins Gesichtsfeld des Galeristen eintraten, jahrelang hatte man nichts mehr miteinander zu tun, das sei schon bedenkenswert, sagt er. Und freut sich über diesen Bogen in die eigene Geschichte.

■ Jubiläumskonzert mit Robert Lippok: 14. Juli, 20.25 Uhr