Berliner Platte : Der Hund am Strand schrammelt die 80er-Jahre zurück
Da geben sich drei einen seltsamen Namen wie Hund am Strand, packen ihren Gitarrenhals und kümmern sich nicht drum, was passiert ist seit, ja, seit ungefähr Mitte der 80er-Jahre. Nein, ihr Debütalbum „Adieu Sweet Bahnhof“ beginnt nicht nur mit den in diesem Fall programmatisch zu verstehenden Zeilen „Vier Akkorde, aufgeteilt auf Riffs und auf Strophen“, sondern hier klingen sechs Saiten tatsächlich noch wie sechs Saiten, und ein Schlagzeug wird ganz altertümlich mit Trommelstöcken bedient. Kurz gesagt: Schrammelpop is here again. Nun wäre nur noch zu entscheiden: Ist das eine freudige Nachricht oder eher eine Hiobsbotschaft? In diesem Fall ist die Antwort einfach: Hund am Strand sind die bestmögliche Fortsetzung dieser Tradition, weil sie die Vergangenheit nicht eins zu eins reaktivieren, sondern ungefähr so spiegeln wie die Spielzeugeisenbahn-Landschaft auf dem Cover von „Adieu Sweet Bahnhof“ die Wirklichkeit. Und warum auch nicht: Wenn Maximo Park oder Bloc Party den hysterischen Feueralarmpop der Eighties neu beleben dürfen, dann sollte es Hund am Strand auch erlaubt sein, das selbstvergessene Schrammeln jener Dekade wiederzuentdecken: Die Gitarre rotiert um sich selbst, sucht nach einem eingängigen Riff, und wenn sie keinen findet, ist es auch gut: „Vier Akkorde, unaufhörlich wiederholt im Ganzen“, singt Fabian Schwinger – wie praktisch, wenn man seine Prägung zu Diskurspopzeiten erfahren hat. Denn eins ist klar: Der Mann hat seine Kurse belegt in der Hamburger Schule, hat seine Tocotronic gehört und Die Sterne. Allerdings hat er sich von deren mit Ironie verschlüsselter, selbstreferenzieller Welt verabschiedet und traut sich, mal ein herzlich normales Liebeslied zu schreiben und im nächsten Song auch gleich noch die Gesellschaft zu retten. „Wir könnten einen Ausweg propagieren“, singt er, aber es hat nichts von missionarischem Eifer, sondern eher von gut gemeintem Ratschlag. Manchmal wird es auch grenzwertig, da heißt es dann: „Mein Penis in der Tasche, es knistert in der Flasche.“ Ein bisschen also geht es hier zu wie bei Bernd Begemann hinterm Sofa. Meist aber sind die Protagonisten in den Songs von Schwinger auf der Suche nach ihrem wahren Ich („Frühling“) oder versuchen Liebe einzufrieren, um sie besser transportieren zu können („Jungen Mädchen“). Manchmal sind die Songhelden auch peinlich berührt, weil sie sich und ihre Gefühle zu ernst nehmen („Zeit zu trauern“), und exakt in diesem Schwebezustand zwischen Sich-ernst-nehmen-Wollen und Nötigen-Abstand-zu-sich-selbst-Suchen bewegen sich die meisten Texte von Schwinger – jedenfalls bis in liebenswerter Naivität die Euphorie wieder überhand gewinnt: „Hey, es ist Frühling und es riecht nach Veränderung.“ Dazu passt dann der enthemmte Gitarrenpop ganz prima und das Versprechen: „Es ist noch genug Zeit zu trauern, liebes Herz.“ Und tatsächlich: Planmäßiges Trauern ist ein durchaus handhabbares Gefühl, wenn solche Musik einem darüber hinweghelfen kann: Schrammelpop is here to stay. Thomas Winkler