zwischen den rillen
: Wanderung der Seelen

Der vollkommenste Pop der Gegenwart, trotz und wegen der reaktionären Untertöne: Missy Elliotts „The Cookbook“

Zwei afroamerikanische Frauen beherrschen momentan das Geschehen in Politik und Popkultur: zum einen US-Verteidigungsministerin Condoleezza Rice und zum anderen die HipHop-Übermutter Missy Elliott. Condi und Missy sind zwar beide schwarz und weiblich, ihre Karrieren könnten aber nicht unterschiedlicher sein. Die eine hat sich zielstrebig als treueste Gehilfin des Bush-Clans hervorgetan. Die andere hat sich vom Cyborg über die subversive „Bitch“ in ein Mädchen vom Lande verwandelt, als das sie sich auf ihrem neuen Album „The Cookbook“ präsentiert.

Beide Fälle zeigen, dass die Kategorien von gender und race im Minderheitendiskurs zunehmend unbrauchbarer werden. Obwohl die mächtigste Frau der Welt aus dem Brennpunkt der Bürgerrechtsbewegung in Alabama stammt, ist Condi das Gegenteil einer Identifikationsfigur der Schwarzen- oder Frauenbewegung. Auch das erfolgreichste Multitalent der Popmusik lässt sich immer weniger vor den minoritären Repräsentationskarren spannen. Im schwanzgesteuerten HipHop mag Missy der einzige weibliche Star sein. Unterwürfig himmelt aber auch sie in Songs den „magic stick“ ihres Liebhabers an. Angesprochen auf Frauenrechte oder Black Power reagiert sie wie ihr Produzent Timbaland, wenn man ihm Drum ’n’ Bass als Inspirationsquelle unterstellt: Sie zuckt mit den Schultern und steigt in einen ihrer zehn Lamborghinis.

Angesichts zahlreicher Magisterarbeiten über z. B. „Feministische Körperpraktiken bei Missy Elliott“ überrascht das reaktionäre Rollenbild im neuen Booklet: Missy im Rock, am Herd und bei der Wäsche. Die hedonistischen Exzesse bei Nacht hat sie gegen ein bescheidenes Leben auf der Veranda in den Südstaaten getauscht. Auf dem Cover posiert sie vor einer Barkulisse wie aus „Ray“. Man könnte ihre Entwicklung glatt als regressive Anpassung an den Mainstream lesen: vom posthumanen Insektenhybrid über die queere Leder-Domina zur abgemagerten GAP-Werbeträgerin – und nun das zufriedene Landei. Die HipHop-Szene als Gemeinde, wie Missy sie seit dem Album „Under Construction“ nach dem 11. September 2001 anruft, manifestiert sich auch auf dem neuen Album in einer Hinwendung zur Old School: Nostalgie statt Innovation.

Dem Cover nach könnte „The Cookbook“ aber eben so gut Teil einer Blues-Anthologie oder ein Soul-Klassiker sein. HipHop wird durch diese Mehrdeutigkeit aus dem U-18-Image befreit und erscheint gereift als universalste aller Popmusiken. Schon das Intro deutet auf die dafür notwendige Bedingung der Migration hin. Begleitet von sizilianischen Gitarren stellt Missy im entwurzelten Patois die polyphonen Zutaten ihres 16-Gänge-Menüs vor. Dabei aktiviert sie mit einem Sample aus „Clear“ von Cybotron erstmals eine Fluchtlinie zwischen HipHop und Detroit Techno über Crunk und Miami Bass.

Migration bedeutet auf „The Cookbook“ auch die Wanderung von Seelen. Gleichberechtigt mit futuristischen Stücken und Old-School-Hymnen schlagen R&B-Balladen die Brücke zum klassischen Soul. Auch hier werden Textzeilen immer wieder zerscratcht. Einerseits historisiert sich Missy durch diese Praxis augenblicklich. Zum anderen erfindet sie sich durch die Fragmentierung ihrer Stimme als Künstlersubjekt neu. Doch kurz vor der Auflösung im Hyperraum ruft sie: „This ain’t no rap record, get back to the hook“ – zurück zu den unwiderstehlichen Refrains, die die Vielfalt des Albums zusammenhalten.

Auf „The Cookbook“ lastet der Innovationsimperativ nicht mehr allein auf den Schultern von Missy und Timbaland, der sich rar gemacht hat. Eine neue Generation ist mit M. I. A. aus London und dem Screwed&Chopped-Star Mike Jones zu Gast im Kochstudio. Dabei tritt die prozessuale Qualität des Produktionskraftwerks namens Missy Elliott in den Vordergrund: Sie ist der Durchlauferhitzer, durch den verschiedenste Kräfte strömen und scheinbar mühelos als der vollkommenste Pop zur Zeit wieder herauskommen. Missy ist zu vielseitig, um bloß eine Galionsfigur zu sein, und zu einzigartig, um sich vereinnahmen zu lassen. In angemessener Selbstbezogenheit prangert auf ihrer eigenen Mode-Kollektion das Logo aus ihren Initialien: „Respect M. E.“. Nach Condoleezza Rice wurde dagegen mal ein Öltanker benannt. UH-YOUNG KIM

Missy Elliott: „The Cookbook“ (Elektra/ Warner)