Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: Menschen, die auf Freesien starren

Foto: Roberta Sant‘anna

Heut früh im Radio ging’s mal nicht sofort um Corona, sondern um die Bundesgartenschau, laut Fans: Buga!“ Sagt ein Herr beim Spaziergang in der Speicherstadt zum anderen.

„Ach, schau an, warum?“

„Wird siebzig Jahre alt, wie wir.“

„All die Blumen.“

„Braucht kein Mensch.“

„Du Nihilist, grimm nicht wieder rum.“

„Ich bin kein Nihilist, ich kann nur nix mit Blumen anfangen.“

„Du musst nix mit ihnen anfangen, du sollst sie nur ansehen.“

„Und dann?“

„Dich dran erfreuen, darin versinken.“

„Ich brauch da mehr zum Kontemplieren und Amüsieren.“

„Meinst du, ich bin einfacher gestrickt, weil Blumen mich glücklich machen?“

„Glücklich? Jetzt komm mal runter!“

„Doch, so ein frischer Strauß auf dem Tisch gibt mir ein Glücksgefühl!“

„Ein Glücksgefühl ist nicht Glück, so wie Depri-Sein nix mit Depression zu tun hat!“

„Du weichst vom Thema ab.“

„Was ist das Thema?!“

„Blumen.“

„Blumen sind kein Thema.“

„Alles kann ein Thema sein, wenn man nur will!“

„Na gut, hier hast du dein Thema: Blumen sind wie Religion, nur eben die kleine Portion Opium fürs Volk – das kommt ja nicht von ungefähr, dass Blumenläden auf dem Corona-Psycho-Tiefpunkt mit als erstes wieder öffnen durften und den Menschen die Bundesgartenschau zur Nachkriegszeit vorgesetzt wurde – Schönpflanzerei stellt das Volk ruhig, der Kapitalismus wird hübsch-listig vermummt!“

„Mit Tulpen?“

„Mit jeder Art bunter Reizüberflutung, solang der Mensch auf Nelken, Chrysanthemen und Narzissen starrt, verdrängt er Krieg, Elend und Ausbeutung.“

„Ein bisschen saftige Natur in der Vase auf dem Küchentisch wird die Qualität der politischen Diskussion an selbigem nicht mindern!“

„Schnittblumen welken, verenden und landen im Müll, mit Natur hat das nix zu tun, und deine Bundesgartenschau auch nicht!“

„Was ist denn für dich Natur?“

„Alles Wilde, was von selbst kommt und geht, ohne Anpflanzung, Gestutztes und Symmetrie.“

„Woran erfreust du dich denn optisch?“

„Ich mag alte abgesperrte Brücken.“

„Was ist daran schön?“

„Der Verlust des Nutzens bei weiterem Fortbestand.“

„Wie ein lahmes Rennpferd.“

„Ein impotenter Zuchtbulle.“

„Oder ein vertrockneter Strauß Orchideen.“

„Womöglich. Von Perfektion werd’ich müde, Perfektion ist das Ende, darauf kann nur Zerstörung folgen.“

„Du redest doch ständig begeistert von dem perfekten Club-Sandwich!“

„Das kann man aufessen, die sinnvollste Form der Zerstörung. Und außerdem ist es mein Lieblingsessen, ich könnt mich tagelang davon ernähren!“

„Und ich liebe Pseudobombax Elipticum!“

„Was ist das? Ein Weltraumporno?“

„Ein blühender Baum aus den Tropen.“

„Na toll.“

„Er blüht rosa.“

„Fantastisch.“

„Welche Farbe hat eigentlich das Coronavirus?“

„Ich hab da wirklich schon jede Farbe gesehen.“

„Schön! Wie bei der Bundesgartenschau.“

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.