: Alzheimer nach Badeurlaub in Schweden
Algenteppich überzieht die Ostseeküste. Regierung warnt: Nicht im Meer baden, Wasser nicht trinken. Forscher prüfen, ob die Blaualgen das Nervengift BMAA enthalten, das zu Demenz führen kann. Bioläden nahmen bereits Algenpulver aus dem Regal
AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF
Pünktlich zu den Industrieferien können sich die Schwedinnen und Schweden endlich wieder einmal über einen rekordwarmen Sommer freuen. Und mit ihnen mehrere hunderttausend Deutsche, die ihren Urlaub in Skandinavien verbringen.
Doch ausgerechnet jetzt wird ihnen der Badespaß verdorben. Von Stockholms Schäreninseln bis südlich von Öland herrscht die schlimmste Algenblüte seit Jahren. Über mehrere hundert Kilometer gleicht das Meer einer Erbsensuppe. Die trübe Brühe nähert sich auch den Badestränden Lettlands und Litauens. Am schlimmsten ist die Situation rund um Gotland, die bevorzugten Ferieninsel der Stockholmer. Die Behörden empfehlen, nicht in der braungrünen Suppe zu baden und das Wasser keinesfalls zu trinken.
Grund der verdorbenen Badefreuden ist eine Kombination aus hohem Phosphatgehalt, relativ windstillem Wetter und seit Wochen anhaltenden Temperaturen um die 25 bis 30 Grad. Der Übeltäter sind einzellige Organismen, so genannte Cyanobakterien oder „Blaualgen“, die sich in explosionsartiger „Blüte“ vermehren. Von ihnen ist bekannt, dass sie ein Lebergift enthalten, welches zu Erbrechen und Unwohlsein führen kann. Doch haben Forscher den Verdacht, dass die Gefahr größer als bislang angenommen sein könnte, dass sich in dieser Suppe möglicherweise auch das Nervengift BMAA verbirgt, welches eine der Alzheimer-Demenz ähnliche Erkrankung auslösen kann.
Grund für diese Annahme sind im April veröffentlichte Forschungsergebnisse. Wissenschaftler hatten 20 Jahre lang die Bevölkerung der Südseeinsel Guam beobachtet. Dort haben überdurchschnittlich viele Menschen neurologische, Alzheimer-ähnliche Krankheiten entwickelt – laut Experten aufgrund des Genusses des Fleischs von Tieren, die diese Bakterien aufnehmen. Die gleiche Substanz wurde dann bei zehn toten Alzheimer-Patientinnen in Kanada gefunden.
Kürzlich entdeckten nun Forscher der Universität Stockholm Spuren von BMAA bei im Labor gezüchteten Cyanobakterien, wie sie am häufigsten in der Ostsee vorkommen. „Wir machen jetzt erstmals Tests mit einer natürlichen Algenblüte“, berichtet die Botanikerin Ulla Rasmussen. Und hofft, erste Ergebnisse in der kommenden Woche vorlegen zu können. Sie warnt aber gleichzeitig vor Hysterie: Nicht jeder, der beim Baden Wasser schluckt, erkrankt danach an Alzheimer.
Eine akutere Gefährdung bestehe bei einer Einnahme über die Nahrungskette. Ob Algenpulver, wie es in Reformhäusern verkauft wird, gänzlich unbedenklich ist, hoffe man, so Karl-Erik Hellnäs von der staatlichen Lebensmittelbehörde „Livsmedelsverket“, in einigen Monaten beantworten zu können. Die Boulevardpresse schlug kürzlich bereits „Algenalarm“. Daraufhin wurde ein Algentrunk aus dem Angebot genommen.
Die jetzt „blühenden“ Cyanobakterien kommen seit Millionen Jahren auf der Erde vor. Dass sie trotz aller Kläranlagen so reichlich Phosphornahrung in der Ostsee vorfinden, liegt auch daran, dass die Nährstoffe sich im Meeresboden konzentriert haben. Hinzu kommt, dass die Algen die Fähigkeit haben, Stickstoff aus Luft und Wasser zu binden. Solange nicht Nachschubquellen aus Verkehr, Landwirtschaft und Abflussrohren radikal vermindert werden, ist ihrer Vermehrung nicht beizukommen.