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Durch Corona wieder Weltspitze

Während des Nationalsozialismus beutete das Lübecker Drägerwerk Zwangs­ar­bei­te­r*in­nen aus, um „Volksgasmasken“ herzustellen, heute sind seine medizinischen Beatmungsgeräte gefragt. In der Sendung „Unsere Geschichte – Die Lebensretter aus Lübeck“ stellt der NDR das Unternehmen vor

Beatmungsgerät von Dräger Foto: NDR/Jumpmedien GmbH

Von Wilfried Hippen

Ohne Corona würde es diese Reportage so ganz sicher nicht geben. Aber die Firma Dräger aus Lübeck stellt medizinische Beatmungsgeräte her und ist deshalb in diesen Tagen „systemrelevant“. Der Begriff fällt dann auch schon in den ersten Minuten der Sendung, die kaum anders aussehen würde, wenn sie als Imagefilm vom Unternehmen selber in Auftrag gegeben worden wäre.

In 45 Minuten wird hier die Firmengeschichte erzählt – und als ein Kapitel Industriegeschichte ist der Film, den Friederike Venus und Felix Weichbrodt solide und routiniert in Szene gesetzt haben, dann auch durchaus sehenswert. Seit fünf Generationen wird der Betrieb von der Familie Dräger geleitet, ein Grund für seine Gründung vor 130 Jahren war das Lübecker Bier. Denn der Maschineningenieur Johann Heinrich Dräger entwickelte damals das Lubeca-Ventil, mit dem beim Bierzapfen Druckunterschiede vermieden werden konnten. Zehn Jahre später kam ihm die Idee, dass man mit der gleichen Technik auch Atemgeräte bauen könnte und diese waren bald darauf weltweit konkurrenzlos.

Kein böses Wort

Über die Jahre entwickelte die Firma Dräger immer wieder Geräte, für die zu ihrer Zeit international eine große Nachfrage bestand: Taucherausrüstungen, Narkosegeräte, ein Tauchretter für U-Boot-Besatzungen und ein Grubenrettungsgerät, das so populär wurde, dass in den USA die Sicherheitsspezialisten in Bergwerken bis heute „drägermen“ genannt werden. Der Sündenfall kam dann wie bei vielen deutschen Unternehmern im Dritten Reich, als Heinrich Dräger in die NSDAP eintrat und mit einem großen Auftrag zur Produktion von „Volksgasmasken“ belohnt wurde. In den frühen 1940er-Jahren beschäftigte er Zwangs­ar­bei­te­r*in­nen aus dem KZ Ravensbrück. Aber nach dem Krieg wurde er von den Engländern als Mitläufer eingestuft und durfte weiter die Firma leiten, die dann bald mit der Entwicklung der „Eisernen Lunge“ für Pa­ti­en­t*in­nen mit Kinderlähmung wieder ganz auf der Höhe der Zeit war.

Diese Phase der Firmengeschichte wird gleich von mehreren His­to­ri­ke­r*in­nen kritisch eingeordnet, doch ansonsten wird kein böses Wort über den Betrieb verloren. Heutzutage rufen „Kanzler, Könige und Regierungen“ – so die sonore Erzählerstimme – bei Stefan Dräger an, weil sie seine Beatmungsgeräte haben wollen. Ende 2019 war sein Betrieb in einer Krise und es gab Pläne für einen Stellenabbau. Jetzt werden Sonderschichten gefahren, und wie viele Beschäftige inzwischen wie viele Geräte produzieren, ist ein „Betriebsgeheimnis“.

Es fällt auf, dass Friederike Venus und Felix Weichbrodt sich bemühen, möglichst viele Frauen für ihren Film zu befragen. So etwa eine der wenigen weiblichen Auszubildenden, eine Produktmanagerin und eine Feuerwehrfrau, die bei einer Schulung in einem von den Drägerwerken entwickelten Container für Brandsimulationen für den Ernstfall trainiert.

Es fehlen dagegen Aufnahmen aus Intensivstationen, in denen die Geräte von Dräger im Einsatz an Coronapatient*innen gezeigt werden. Und es war klug von den Filmemacher*innen, auf solche sensationsheischenden Bilder zu verzichten. Vieles muss in diesen Zeiten gar nicht erzählt werden – und erst recht nicht gezeigt.

„Unsere Geschichte – Die Lebensretter aus Lübeck“ wird am 21. April um 21 Uhr im NDR-Fernsehen gezeigt und ist dann auch in der ARD-Mediathek verfügbar

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