Freunde der Grenzerfahrung

Das Festival Popdeurope geht in seine vierte Runde: Frisch in die Arena umgezogen und alle Vorzüge von Badeschiff und Strandbar nutzend, wird diesmal alles ein bisschen bekannter und großnamiger. Nichtsdestotrotz: Popdeurope tut Großes

VON DANIEL BAX

No Logo? Von wegen. Wie wichtig es ist, eine Marke aufzubauen, und wie schwierig es ist, sie am Markt zu etablieren, lernen BWL-Studenten schon im ersten Semester. Dem Festival Popdeurope ist es gelungen, innerhalb von drei Jahren zu so einem Marken-Event zu werden, das fest im sommerlichen Stadtleben verankert ist. Seinen Anfang nahm die global tönende Popschau einst am Haus der Kulturen der Welt, das für die nötige Anschubfinanzierung sorgte. Mit einer großzügigen Werbekampagne wurde das Festival mit dem sperrigen Namen im Jahr 2002 eingeführt, ein dickes Programmheft sorgte für den Überbau. Für Fans gab es aber auch T-Shirts mit dem schicken Logo zu kaufen sowie eine eigene „Popdeurope“-Compilation. Eine runde Sache eigentlich, die da ins Rollen gekommen war.

Umso erstaunlicher, dass man am Haus der Kulturen der Welt im vergangenen Jahr andere Prioritäten setzte und ausgerechnet der erfolgreichen Popdeurope-Reihe die Gelder strich. Ob die exklusiven Gamelan-Konzerte, die nun in diesem Sommer den musikalischen Schwerpunkt des Hauses bilden, die Lücke füllen und ein ähnlich junges Publikum ansprechen werden, muss sich zeigen. Sicher ist nur, dass die Arena zu ihrem zehnjährigen Jubiläum so ein unverhofftes Geburtstagsgeschenk bekam – ein komplettes Festival, das über Berlin hinaus einen guten Ruf besitzt. Denn die Popdeurope-Macher ließen sich nicht beirren und zogen nach Treptow um, wo das Publikum im Badeschiff Abkühlung suchen kann, wenn die Konzerte zu hitzig werden.

Der Einstand am neuen Ort wurde bereits im Mai mit einem Vorabkonzert gefeiert: Aus Barcelona flog man die Formation Ojos de Brujos ein, die mit ihrer Fusion aus Flamenco-Klängen und HipHop-Beats schon einmal vor zwei Jahren als Popdeurope-Gast die HKW-Dachterrasse gerockt hatte, doch im Schlepptau brachten sie diesmal den Rumba-Rockabilly von Muchachito Bombo Infierno mit. Das entspricht dem Popdeurope-Konzept, die Konzerte gleich im Doppelpack oder als Dreiercombi zu veranstalten: Soll keiner sagen, man bekäme nicht etwas geboten für sein Geld!

An der Grundidee von Popdeurope hat sich durch den Umzug nichts geändert: Es will ein Festival für die urbanen und hybriden Wanderer zwischen den Stilgrenzen. „Migrating sounds in and out of Europe“ lautete dazu einst der programmatische Untertitel. Heute sagt Popdeurope-Chef Björn Döring, er fühle sich freier als am Haus der Kulturen der Welt, weil er sich nicht mehr an dessen engen konzeptuellen Rahmen orientieren muss. Doch dass sich das Festival, bis auf eine Förderung durch den Hauptstadtkulturfonds, nun kommerziell selbst tragen muss, hat sich auf das Programm ausgewirkt: Als Zugpferde dienen jetzt bekannte Namen wie der Balkan-DJ Shantel, die Texmex-Cowboys von Calexico sowie Senor Coconut, die sich allesamt schon als Publikumsmagneten bewiesen haben. Doch sie kommen nicht allein: Der Frankfurter Shantel wird sich zur Eröffnung am Samstag die Bühne mit dem Kaizers Orchestra aus Norwegen teilen, die zu einer Art apokalyptischem Rock-Walzer aufspielen, sowie mit !Deladap aus Wien, die Kaffeehaus-Electronica mit schluchzenden Gipsy-Weisen zu einer gefälligen Melange verbinden: ein Abend der Kontraste. Am Sonntag präsentieren sich dann unter dem Motto „Avanti Pop!“, frei nach einem alten Slogan der radikalen Linken, die Helden der italienischen Alternativszene: Roy Paci etwa, der sizilianische Trompeter, den alle Welt lediglich aus der Entourage von Manu Chao kennt, der in Italien auch mit seiner eigenen Ska- und Raggamuffin-Band Aretuska Karriere gemacht hat. Wenn er nun erstmals in die Arena zurückkehrt, in der er schon mit seinem Freund und Mentor Manu Chao gespielt hat, wird der Sizilianer sicher auch jenes Stück im Gepäck haben, dass er den italienischen Arbeitsmigranten in Deutschland gewidmet hat: Selten hat man das Wort Gastarbeiter so schön gesungen gehört wie in diesem Song.

Ebenfalls aus dem italienischen Süden stammt das Sud Sound System, das nicht nur zu den erfolgreichsten und politisch eloquentesten Reggae-Acts des Landes zählt, sondern das auch nicht davor zurückschreckt, Einflüsse aus der Tarantella-Folklore unter ihre jamaikanischen Riddims zu mischen.

Zu den Höhepunkten der insgesamt drei Popdeurope-Wochen dürfte auch das Gastspiel des globalen Klangreisenden Nitin Sawhney aus London gehören. Abzuwarten bleibt nur, wie es ihm gelingen wird, seine ambitionierten Soundcollagen adäquat auf die Bühne zu bringen. Geerdet wird der Abend aber sicherlich durch jene Vertreter des britischen Club-Undergrounds, die nun dank Popdeurope zum ersten Mal nach Berlin kommen: Das HipHop-Kollektiv BC400 sowie das Raver-Trio Visionary Underground aus London, die von Grime bis Bollywood alles in ihren Remix-Topf werfen, was sie in die Finger bekommen.

Für die Freunde musikalischer Grenzerfahrungen bleibt also viel zu tun – zumal „Popdeurope“ in diesem Jahr erstmals parallel zum „Heimatklänge“-Festival stattfindet. Zwar verstehen sich die „Heimatklänge“ eher als Volksfest für die Familie, und bauen ganz auf den Erlebnischarakter der Open-Air-Konzerte. Popdeurope dagegen will ein junges Trendpublikum ansprechen und setzt auf den Hipnessfaktor seiner Bands. Trotzdem sind beide Festivals musikalisch ähnlich gepolt, die Schnittmengen offensichtlich. Eine Stadt wie Berlin müsste Platz genug für zwei solcher Festivals haben.

Heute ab 20 Uhr: Kaizers Orchestra, !Deladap, Shantel. Sonntag ab 19 Uhr: Roy Paci & Aretuska, Sud Sound System