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Archiv-Artikel

Protest gegen Abschiebungen

Polnische Intellektuelle fordern Bleiberecht für vietnamesische Dissidenten. Die Chefin des Flüchtlingsrats sieht in ihnen nur unglückliche Basarhändler

WARSCHAU taz ■ „Retten wir den Vietnamesen!“, fordern immer mehr Intellektuelle Polens. Der vietnamesische Dissident Nguyen Lam soll in seine Heimat abgeschoben werden, obwohl er dort fünf Jahre im Gefängnis saß, geschlagen und gefoltert wurde. „Liefern wir ihn den Kommunisten aus?“, fragt fassungslos Polens liberale Gazeta Wyborcza. Viele Redakteure, darunter auch Chefredakteur Adam Michnik, saßen jahrelang in polnischen Gefängnissen, weil sie sich von den Kommunisten den Mund nicht verbieten lassen wollten.

Die konservative Rzeczpospolita fordert gar die vom postkommunistischen Bündnis der demokratischen Linken (SLD) gebildete Regierung Polens auf: „Lasst Nguyen Lam frei!“ Lam (45) ist einer von sechs vietnamesischen Dissidenten, die in Polen um Asyl gebeten haben. Das Amt für Repatriierung und Ausländer hält aber die Aussagen der sechs Vietnamesen für unglaubwürdig. Sie sollen so bald wie möglich abgeschoben werden. Lam wurde vor einigen Tagen in Opole (Oppeln) verhaftet. „Für ihn wird die Deportation die schlimmsten Folgen haben“, ist Ton Van Anh überzeugt, in Polen lebende Chefredakteurin der vietnamesischen Oppositionszeitschrift Cau Vong (Regenbogen). „Lam muss in Vietnam mit der Todesstrafe rechnen oder mit einer langjährigen Haftstrafe.

Eine solche Gefahr hätten die Vietnamesen nicht glaubhaft machen können, meint hingegen Anna Rutkiewicz, die Vorsitzende des polnischen Flüchtlingsrates. „Wir haben hier keine Möglichkeiten, ihre Aussagen zu überprüfen“, erklärt sie gegenüber der Gazeta Wyborcza. Die Gesellschaft für Demokratie und Pluralismus in Vietnam mit Sitz in Paris, der die sechs sich nach ihrer Flucht aus Vietnam angeschlossen haben, sei – so sagt sie – „unseren Informationen nach von vietnamesischen Kommunisten gegründet worden“ und müsse, da sie von der EU bezuschusst werde, eine steigende Mitgliederzahl nachweisen“. Und weiter: „Für mich sind diese Vietnamesen einfach nur unglückliche Basarhändler, die jede Gelegenheit ergreifen, um ihren Aufenthalt in Polen zu legalisieren.“

Dass sich für die Dissidenten bereits im vergangenen Jahr mehr als 160 Intellektuelle Polens einsetzten, darunter die Exaußenminister Bartoszewski und Geremek, hatte keine Folgen. Sowohl der Flüchtlingsrat als auch das Amt für Repatriierung und Ausländer halten an ihren Abschiebeplänen fest. „Vor bald 25 Jahren wurde die Freiheitsbewegung Solidarność gegründet. Wir waren damals in einer ähnlichen Situation wie heute die Vietnamesen“, empört sich Maciej Plazynski von der liberalen Bürgerplattform. Damals nahmen Westeuropa und Nordamerika über eine Million polnischer Flüchtlinge auf.

Tatsächlich wächst die Zahl der Asylbewerber in Polen seit 2000 kontinuierlich an. 2002 baten 5.000 Menschen um Asyl, 2004 über 8.000. Es sind vor allem Tschetschenen, aber auch Flüchtlinge aus anderen exsowjetischen Republiken, aus Afrika und Asien. Von den 8.079 Asylbewerbern im Jahr 2004 erhielten 315 den Flüchtlingsstatus, also knapp 4 Prozent. GABRIELE LESSER