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Module mit Eigenleben

Im östlichen Prenzlauer Berg eröffnete kürzlich ein neuer Ausstellungsort: „Korn“ befindet sich im Schaufenster der Heinrich-Böll-Bibliothek. Zu sehen sind als Erstes Skulpturen aus MDW-Modulen von Inken Reinert

Von Beate Scheder

Als der Produktdesigner Rudolf Horn auf der Messe in Leipzig 1967 sein Möbelprogramm „Deutsche Wohnen“ vorstellte, standen die Menschen Schlange, um einen Blick darauf zu werfen. Horn hatte eine für damals geradezu revolutionäre Idee: Möbel, die sich an die Bedürfnisse der Be­nut­ze­r*in­nen anpassen lassen und nicht umgekehrt. Realisiert wurde diese letztlich jedoch nicht ganz. Zwar fanden sich die aus MDW-Modulen gebauten Möbel in fast jeder DDR-Wohnung wieder, für allzu individuelle Ausgestaltungen boten die standardisierten Plattenbauten jedoch keine Möglichkeiten. Zudem schränkte das planwirtschaftliche System die Produktion der verschiedenen Elemente ein.

Das Konzept verwässerte, mehr und mehr verdrängten vormontierte Möbelkörper und Schrankwände die Module. Erst recht von solchen hatten die Menschen nach der Wende genug, ersetzten sie rasch gegen scheinbar modernere aus dem Westen. Die MDW-Wände landeten auf dem Sperrmüll und beim Trödel, wo die Künstlerin Inken Reinert auf sie aufmerksam wurde. Schon seit einiger Zeit arbeitet Reinert mit ihnen als Material, puzzelt Möbelwände, Leisten und Schranktüren zu raumeinnehmenden Bauten zusammen und lotet in ihren Konstruktionen, deren Variabilität neu aus. So auch jetzt in ihrer Einzelausstellung im Ende Februar neu eröffneten Kunstraum Korn. Dort hat sie die Elemente zu Steckfiguren ineinandergeschoben, als hätten die in immergleiche Formen gepressten Module ein Eigenleben entwickelt. Windschief recken sie sich hinter der Scheibe in die Höhe, fein abgestuft nach den Tönen der Holzdekorfolie. „Typensatz 2“ heißt die Schau, anzuschauen ist sie rund um die Uhr in einem Schaufenster in der Heinrich-Böll-Bibliothek. Abgestimmt ist das nicht nur auf die neuen Bedürfnisse in der Pandemie. Korn will die Kunst auf diese Weise ins Blickfeld von Menschen rücken, die mit ihr sonst wenig Berührungspunkte haben. Speziell nennt Kurator Dirk Teschner die Gegend rund um das Fenster und die Bibliothek. Laufpublikum gibt es durchaus, Galerien oder andere Orte für zeitgenössische Kunst bislang keine.

Die Heinrich-Böll-Bibliothek und mit ihr der neue Kunstraum befindet sich auf der Greifswalder Straße jenseits des S-Bahn-Rings, im Osten des Prenzlauer Bergs, in einer Ecke, die mit den Klischees über den Bezirk nichts, aber auch gar nichts gemein zu haben scheint und in die sich kaum jemand verirrt, der oder die da nicht wohnt. Discounter und ramschige Marktbuden bestimmen das Bild, vor allem aber mächtige Plattenbauten, die nach Entwürfen des Architekten Roland Korn in den 1970er und frühen 1980er Jahren entstanden.

Kunst gegen Rechts

2020 hatte es während des Kunstfestivals artspring erstmals eine Ausstellung im Fenster der Heinrich-Böll-Bibliothek gegeben, nun wurde es für eine Ausstellungsreihe ausgeschrieben. Teschner, der unter anderem im Erfurter Bahnhofsviertel den ebenfalls nur von außen einsehbaren Kunstraum Hammerschmidt + Gladigau betreibt und die Ausstellungsreihe „Kunst gegen Rechts“ organisiert, bekam mit seinem Konzept „Neuland – Wandel, Abriss, Neubesinnung“ den Zuschlag.

Schon im Namen spiegelt sich dieses wider. Korn bezieht sich einerseits auf den Namen des Architekten, der bekannter noch ist für die DDR-Repräsentationsgebäude, die er entwarf, das Staatsratsgebäude etwa, das Hotel Stadt Berlin, das heute Park Inn heißt, oder für die Konzeption der Wohnsiedlung Berlin-Marzahn. Andererseits passt er aber auch zu derjenigen des Quartiers: Mühlenviertel, wegen der Windmühlen, die dort einmal standen. Wie Korn soll metaphorisch auch die Kunst aufgehen, womöglich sogar heimisch werden. Immerhin bleiben Pas­san­t*in­nen schon jetzt am Schaufenster stehen und gucken hinein. Interesse weckt Korn durchaus – weil es Anknüpfungspunkte gibt.

So wie in der aktuellen Schau von Inken Reinert stehen auch in den kommenden Projekten die urbanen Umbrüche der letzten 30 Jahre im Vordergrund: die Wende und was sie mit sich brachte, Gentrifizierung, städtebauliche Ideen. Themen sind das, die freilich überall in Berlin relevant sind, in den Plattenbauten an der Greifswalder Straße aber vielleicht noch präsenter. Nicht wenige von denjenigen, die dort heute wohnen, sind schon vor der Wende hingezogen – womöglich mit MDW-Möbeln im Umzugswagen. Die Kunst ist bei Korn am richtigen Ort, um Gedanken und Gespräche anzuregen. Wenn es die Situation wieder erlaubt, könnten letztere tatsächlich auch vor Ort stattfinden, noch muss der Blick durch die Scheibe reichen.

Inken Reinert: Typensatz 2. Bis 4. April, Kunstraum Korn in der Heinrich-Böll-Bibliothek, Greifswalder Str. 87

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