: Tausend Kilometer Wehmut
Erik Zabel im Ostseebad Dahme und nicht bei der Tour de France. Bei dem Sechstagerennen in der Provinz werden Siege dafür umso gebührender gefeiert. Auch wenn der Sprintstar lieber Urlaub auf Mallorca machen würde
Normalerweise hätte er sich in diesem Augenblick rund 1.000 Kilometer weiter südwestlich befinden müssen. Er hätte sich – zu solch vorgerückter Stunde – vielleicht noch einmal die Strapazen vom beschwerlichen Anstieg auf den 2.645 Meter hohen Col du Galibier aus den Beinen massieren lassen. Und sicherlich hätte er mit Jan Ullrich, Alexander Winokourow, Andreas Klöden und all den anderen T-Mobile-Teammitgliedern die schwere Alpen-Etappe der Tour de France noch einmal Revue passieren lassen und mit ihnen die Taktik für den nächsten Tag besprochen.
Stattdessen stand Erik Zabel auf dem obersten Treppchen eines Holzpodiums, das wiederum auf einer improvisierten Bühne vor dem Sprüttenhusplatz im Ostseebad Dahme platziert worden war. Trotz längst eingesetzter Dämmerung hatten sich etwa 200 Urlaubsgäste und Einheimische vor der Bühne versammelt, um dem Sieger der 5. Dahme-Trophy zu huldigen und ihm für seinen Besuch in der Provinz, bei dem Sechs-Tage-Rennen unter freiem Himmel, zu danken.
In einem Punkt war Dahme den Etappenorten der Tour de France weit voraus: Während die Siegerehrungen in Frankreich fast schon mechanisch über die Bühne gebracht werden, nahmen sie sich in dem kleinen Erholungsort viel Zeit für ihre Besten – für den 35 Jahre alten Triumphator Zabel sowie dem Zweitplatzierten Andreas Beikirch (Titz) und den Dritten Robert Bartko (Potsdam). Zabel wurde mit Ehrungen überhäuft. Zuerst durfte er sich das „Gelbe Trikot“ zum Zeichen des Sieges überstreifen, dann hängten sie ihm einen Lorbeerkranz um den Hals. Und zum guten Schluss wurde auch noch die deutsche Nationalhymne gespielt.
Als er dort oben auf dem Treppchen stand, in die Menge winkte und kurz darauf zusammen mit seinen beiden Mitstreitern in Formel-1-Manier den Sekt verspritzte, lachte Zabel. Er hatte an diesem Tag einigen Anlauf für diese Gefühlsregung gebraucht. Noch während der ersten Rennen ließ sein Mienenspiel erahnen, dass es sich bei dem Start in Dahme um eine Pflichtveranstaltung handelt und nicht um etwas, das ihm wirklich Freude bereitet.
„Es ist kein Geheimnis, dass ich viel lieber bei der Tour de France fahren würde. Meine Nichtnominierung hat der Dahme-Trophy alle Möglichkeiten eröffnet, dass ich hier an den Start gehe“, sagte Zabel gönnerhaft. Seiner Bedeutung, der Star beim Sechs-Tage-Rennen in der Provinz zu sein, war er sich durchaus bewusst.
Der Start in Dahme wurde für den gebürtigen Berliner zu einem Ausflug zurück an die Basis. Statt mit den weltbesten Sprintern wie Tom Boonen, Robbie McEwen oder Thor Hushovd in Frankreich um Punkte für das Grüne Trikot zu kämpfen, bildete Zabel zu Beginn der Dahme-Trophy in dem Profi-Kinder-Rennen zusammen mit einem sehr jungen Talent aus Ostholstein ein Team.
Ein wenig Tour-Flair kam schließlich doch noch auf, als ARD-Kommentator Herbert Watterott am frühen Abend per Telefon aus Frankreich zugeschaltet wurde und Zabel begrüßte, der in dieser Woche als Experte an seiner Seite sitzen wird. Als Watterott vom täglichen Arbeitsstress bei der Tour sprach und eingestand, dass er doch viel lieber auf Mallorca Urlaub machen würde, lächelte Zabel wissend und entgegnete lediglich: „Ich auch, Herbert, ich auch.“
Die nahe liegende Vermutung, dass der Start in Dahme für ihn nur eine lästige Pflichterfüllung sei, wies Zabel nach dem Schlussakt von sich. „Es hat mir Spaß gemacht“, behauptete er. „Die Stimmung war gut. Es war gar nicht so der bekannt kühle Norden“, sagte Zabel, der auf Fragen zur Tour de France einsilbig bis maulig reagierte. Er mochte nicht darüber reden, partout nicht. Die Enttäuschung darüber, von der T-Mobile-Führung nicht für das Radsport-Highlight des Jahres nominiert worden zu sein, nagt stärker an ihm, als er es zugeben mag. Daran kann auch das Gelbe Trikot von Dahme wenig ändern. Christian Görtzen