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Archiv-Artikel

Zwei Gläschen und drei Kugeln

Der französische Nationalsport Boule soll olympische Disziplin werden. Doch den meisten Berliner Boulisten ist das damit einhergehende Regelwerk zu diszipliniert. Beim Großen Preis in Tegel will kaum jemand auf das Gläschen zum Spiel verzichten

VON SONJA FAHRENHORST

Schwere Metallkugeln fliegen über die Bahn und knallen dumpf in den Sand. „Irgendwie“, sagt Siggi Nagel, hänge das „mit Bastille und Revolution und Robbespiere und so“ zusammen. Soviel weiß der Präsident des Club Bouliste de Berlin über den 14 Juli, den französischen Nationalfeiertag. Und weil Boule so ein französischer Nationalsport ist, veranstaltet Nagels Club jedes Jahr um den 14. Juli den Großen Preis von Berlin. Zur „Fete de la Pétanque“ treffen sich die Boulisten passenderweise auf dem Gelände der ehemaligen französischen Garnison in Tegel. Mit 56 Bahnen ist es das größte Boulodrome in Deutschland.

Nagel kümmert sich an diesem Wochenende um die Verpflegung, die beim Boulespielen sehr wichtig ist. „Wir nehmen hier zwei Euro für das Bier, das sind richtig zivile Preise“, sagt er. „Die Leute trinken hier sehr viel, das ist eben Kult. Aber die Zeiten, in denen Boule nur ein Fress- und Saufsport war, sind vorbei“, erklärt er, „Boule soll nämlich bald eine olympische Disziplin werden. Der erste Schritt ist, dass beim Lizenzturnier am Sonntag auf den Bahnen weder geraucht noch getrunken werden darf.“ Am Samstag allerdings geht es noch mal leger zu, und der Präsident genehmigt sich ein erstes Bierchen. Er nimmt einen Schluck und sieht hinüber zu den Spielbahnen.

Dort wird Doublettes gespielt. Zwei gegen zwei Spieler treten mit jeweils drei Kugeln gegeneinander an. Die Kugeln der eigenen Mannschaft müssen von einem auf dem Boden markierten Wurfkreis aus möglichst nah an die sechs bis zehn Meter entfernte Zielkugel gelegt werden, die Kugel des gegnerischen Teams von dort wegzuschießen. Jede Kugel der eigenen Mannschaft, die besser ist als die beste gegnerische, zählt einen Punkt, gezählt wird bis 13.

120 Mannschaften verschiedener Nationalitäten haben sich zum Turnier gemeldet. Belgier, Schweden, Holländer, der Partnerverein aus Mallorca und natürlich Franzosen sind dabei. Die „Boulespieler sind eine riesengroße Familie, vom Kassierer bis zum Professor ist alles dabei“, sagt Boris Tsuroupa, der bereits mehrfach deutscher Meister war. Für ihn ist es bis jetzt hervorragend gelaufen, er hat sich schon am Vormittag in die A-Klasse geschossen. „Von der Qualität her steht der Sport in Deutschland ganz oben“, meint er. „Er ist sehr sauber und locker. In Frankreich ist Boule hart und böse geworden weil: es geht um viel Geld.“

Seine beiden französischen Kameraden pflichten ihm bei: „Bei einem Turnier, das mit 3.000 bis 4.000 Euro dotiert ist, da geht’s schon los: Es ist die Mafia“, sagen sie. „Um in Frankreich zu gewinnen, muss man die Leute kennen, man muss Schutzgeld bezahlen.“ Boule als olympische Disziplin lehnen sie kategorisch ab. Wer so etwas wolle, der habe nichts von der Philosophie des Spiels verstanden. Da gehe es nämlich um Entspannung, sagen die Franzosen. Und dafür brauchte man, in jedem Fall mal ein oder zwei Gläschen.

Mehmet ist alles andere als entspannt. Er sitzt mit Schweißperlen auf der Stirn auf einer Bank „Es ist ein ganz schlechter Tag heute“, sagt er. Auf der Spielbahn befördert gerade die Berliner Meisterin im Triplett, die 14-jährige Michele, mit einem gezielten Wurf eine Kugel des Holländischen Teams aus der Bahn. „Ich bin schon raus“, sagt Mehmet, „Wegen der Bahn. Es ist einfach zu viel Sand drauf. Du musst immer die Ruhe bewahren, sonst bist du verloren.“

Der 65-jährige Bretone Lulu, der seit 30 Jahren im Verein ist, beherzigt diesen Ratschlag. Er steht mit einer Schnur, an der ein Magnet hängt, auf der Bahn und zieht seine Kugel hinauf in Richtung seiner Hände. Er hat Pétanque mit acht Jahren gelernt. „Immer wenn Maman in die Kirche gegangen ist, haben Papa und ich hinter der Kirche gespielt“, erzählt er. Bevor er weiterspielt, will er Merguez-Würstchen essen, denn die Nacht kann lang werden. „Bis halb drei kann es heute noch dauern“, sagt er und nimmt einen Schluck von seinem Bier.