Gräser, Wildblumen, Moosbeete

Was geschieht mit dem Schlossplatz? Ein Symposium im Palast der Republik versuchte, die starren Positionen aufzulockern. Doch die Befürworter des Schlossneubaus beharrten genauso auf ihrem Standpunkt wie die Gegner

Die Diskussionsteilnehmer tappten in genau die ideologischen Gräben, die sie hatten zuschütten wollen

Mit hehren Absichten lud die Architektengruppe Urban Catalyst am Samstag in den Palast der Republik. Mit einem Symposium über die Zukunft des Schlossplatzes und einer Architekturausstellung wollte man den „Glaubenskrieg“ beenden, der die Stadt seit Jahren in zwei Lager spaltet: auf der einen Seite die Gruppe um den Hamburger Kaufmann Wilhelm von Boddien, die den Palast der Republik abreißen und das zu DDR-Zeiten gesprengte Hohenzollernschloss wieder aufbauen will. Auf der anderen Seite die bunt gemischte, aber nicht minder eingefleischte Fraktion der Palasterhalter und Schlossgegner.

Der Berliner Architekt Philipp Oswalt und seine Mitstreiter von Urban Catalyst bemühen sich schon seit längerem, frischen Wind in die festgefahrene Debatte zu bringen. Sie baten im Frühjahr 19 Architekten und Künstler aus verschiedenen Ländern, Visionen für den Schlossplatz zu entwickeln. Die Ergebnisse des Wettbewerbs „X Ideen für den Berliner Schlossplatz“ können nun in einer Ausstellung im ersten Stock des Palastes besichtigt werden. Von einem Minigolfparcours aus europäischen Baudenkmälern bis zum Multifunktionsparkplatz reichen die Entwürfe. Der Berliner Architekturkritiker Wolfgang Kil nannte die Ergebnisse in seiner Eröffnungsrede insgesamt „ernüchternd“. Der ersehnte Blick von außen, so Kil, bleibe meist hoffnungslos naiv. Eine Lösung, wie sie etwa die dänische Gruppe Superflex vorgeschlagen habe, sei bestenfalls witzig, aber nicht praktikabel. Superflex will in 30-jährigem Rhythmus zwischen Palast und Schloss wechseln – ein ewiger Fluss aus Abriss und Neubau, der das städtebauliche Dilemma nie enden lässt. Was Kil milde herablassend als „Architektenspiele“ bezeichnete, kommentierte ein Mann aus dem Publikum auf gut Berlinerisch mit: „Wieso macht ihr nicht gleich ’nen Schrebergarten draus?“

Die „grüne Wiese“ aus Gräsern und Moosen ist ein Vorschlag des Senats und gleichzeitig ein Eingeständnis, dass es für lange Zeit an Geld für einen Schlossbau mangeln wird. Mit einer gähnenden Brache im Herzen der Stadt wollen sich aber weder Schlossbefürworter noch die Gegner abfinden. Das Diskussionspanel „Abriss, Neubau, grüne Wiese?“ versuchte, neue Lösungen für den Schlossplatz zu finden. Und scheiterte kolossal. Die Runde tappte in genau die ideologischen Gräben, die man eigentlich zuschütten wollte. Wilhelm von Boddien, vom Moderator launig als „Klassiker der Schlossdebatte“ vorgestellt, warb erwartungsgemäß für das Schloss als kulturellen Mittelpunkt Berlins. Der Barockbau sei städtebaulich notwendig, um der „historischen Mitte“ ihren Bezugspunkt zurückzugeben. Die Moderne habe am Schlossplatz ihre Chance gehabt und verspielt.

Der Architektursoziologe Werner Sewing warf dem Schlossbefürworter vor, die preußische Geschichte rehabilitieren zu wollen und der Stadt eine Mitte aufzuzwingen, die sie nicht mehr brauche. Wie ein Automatismus entspann sich die immergleiche Diskussion über den Umgang Berlins mit den Relikten der Vergangenheit. Der hinzugeladene Kölner Bernd Knies, der im Verein „Das Loch e.V.“ aktiv ist, hätte anschaulich vor den Folgen eines Abrisses warnen können: Trotz mangelnder Alternativen wurde das Josef- Haubrich-Forum abgerissen, seither klafft an seiner statt ein Loch. Knies empfahl den Berliner Kollegen lediglich, sich nicht an weltanschaulichen Konflikten abzuarbeiten.

Doch dazu war es längst zu spät. Die Podiumsteilnehmer ergingen sich in Zahlenspielereien und gegenseitigen Anwürfen – auch im zweiten Panel „Das Schloss: Reproduktion, Duplik, Iteration“. Über allem lag der Hauch des Vergeblichen. Nach all den Jahren der Debatten und Wettbewerbe bleibt das einzig ernst zu nehmende Konzept ausgerechnet von Boddiens „Humboldtforum“, in dem staatliche Kunstsammlungen aus Dahlem zusammen mit Teilen der Humboldt-Bibliothek in das Schloss ziehen sollen. Die Chance, offen über Stärken und Schwächen dieser Idee zu diskutieren, nutzte das Symposium nicht. Es wird Gräsern und Wildblumen vorbehalten sein, die Gräben zwischen preußischem Größenwahn und luftigem Architektenspiel zu überwuchern – auf unbestimmte Zeit wird sich dort nichts anderes tun. NINA APIN