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Archiv-Artikel

„Der Bevölkerung wird bloß was vorgemacht“

Berlins Datenschutzbeauftragter Alexander Dix kritisiert das WM-Sicherheitskonzept. Potenzielle Attentäter ließen sich durch Videoüberwachung nicht abschrecken. Für den Abgleich mit biometrischen Daten fehle gar die Rechtsgrundlage

taz: Herr Dix, wie viele Videoüberwachungskameras empfehlen Sie für die Fußball-WM nächstes Jahr in Berlin?

Alexander Dix: Ich glaube, dass keine Videokamera der Welt und auch keine maximale Anzahl geeignet ist, Terroranschläge wirksam zu verhindern.

London zeigt, dass man hinterher zumindest wusste, wer den Anschlag verübt hat.

Das ist zwar richtig. Die Videotechnik hat dabei aber nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Die entscheidenden Hinweise erhielt die Polizei offenbar durch eine Vermisstenanzeige der Eltern und den Fund der Pässe am Tatort. Erst dann konnten sie die Tatverdächtigen auch mit den Gesichtern auf den Videoaufzeichnungen abgleichen.

Das WM-Sicherheitskonzept des Bundesinnenministers liegt vor. Demnach droht den Berlinern eine Rund-um-die-Uhr-Dauer-Videoüberwachung. Wie hoch ist der Sicherheitsgewinn dabei?

Ich kann nur davor warnen, eine Scheinsicherheit in der Bevölkerung zu wecken nach dem Motto: Wenn nur genug Kameratechnik zu sehen ist, dann wird schon nichts geschehen. Das mag zutreffen auf den einen oder anderen Graffiti-Sprayer oder auf U-Bahn-Scratcher. Aber ein Selbstmordattentäter lässt sich von solcher Technik nicht beeindrucken. Der Bevölkerung wird bloß vorgemacht: Vertraut darauf, dass der Staat alles für euch macht. Wenn er dann anschließend das Sicherheitsversprechen nicht einlösen kann, ist die Vertrauenskrise umso größer.

Was kann ein Datenschützer gegen den momentan populären Sicherheitswahn tun?

Gerade in Zeiten nach solchen Anschlägen ist es sehr wichtig, nüchtern auf bestimmte Zusammenhänge hinzuweisen. Es mag ja sein, dass es an der einen oder anderen Stelle Lücken gibt, etwa in der Zusammenarbeit zwischen Sicherheitsbehörden. Aber hier die Videokamera zum Allheilmittel zur Kriminalitätsbekämpfung zu erklären, halte ich für verfehlt.

Spezialkameras sollen biometrische Gesichtsmerkmale von Personen erfassen. Computer vergleichen die Daten dann mit den Gesichtern bereits erfasster Hooligans. Ein wirksames Mittel gegen Hooligans?

Das mag sein. Nur muss man auch eindeutig sagen: Die gegenwärtige Rechtslage lässt ein solches Vorgehen gar nicht zu. Hier geht es ja nicht nur um die Beobachtung und die Aufzeichnung von Bewegungen im öffentlichen Raum, sondern um den Abgleich mit vorhandenen biometrischen Dateien, die in dieser Form noch gar nicht vom Gesetzgeber beschlossen worden ist.

Schily hat angekündigt, dass bei der WM bis zu 200.000 Personenüberprüfungen gespeichert werden. Können Sie als Datenschützer noch überblicken, ob hinterher tatsächlich alles wieder gelöscht wird?

Diese Zahl hat mich auch erschreckt. Und in der Tat stellen sich für mich die Fragen: Kann man diesen Personenkreis nicht reduzieren? Was passiert mit den Daten nach dem Schlusspfiff im Endspiel? Ich bin da dezidiert der Auffassung, dass diese Daten unverzüglich zu löschen sind, wenn keine Strafverfahren eingeleitet worden sind.

Von welcher Art Missbrauch gehen Sie aus, wenn diese Dateien dennoch in den Computern verbleiben sollten?

Man kann sich verschiedene Missbrauchsszenarien vorstellen. Aber der entscheidende Punkt ist: Der Datenschutz hat dafür zu sorgen, dass Daten mit dem Wegfall des Zwecks, für den sie erhoben wurden, zu vernichten sind. Ich weiß von genug Firmen, die gerne auf diese Datenbestände Zugang hätten.

INTERVIEW: FELIX LEE