: „Folgen sind nicht abzusehen“
Gesundheitsmediziner Wilhelm fürchtet keine gravierenden Gesundheitsschäden durch die neue Kokerei in Duisburg. Die modernen Anlagen seien viel besser als die alten
taz: Herr Wilhelm, würden Sie in die Nähe der neuen Kokerei ziehen?
Wilhelm: Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich woanders hinziehen. Aber ich gehe davon aus, dass die neue Anlage weniger Gefahren birgt.
Warum?
Die bessere Technik wirkt wie ein Dieselrußfilter im Straßenverkehr, sie hält die schlimmsten Schadstoffe zurück. Genauere Erkenntnisse darüber gibt es aber noch nicht.
Sie haben im letzten Jahr erstmals die Verbindung von Industrieanlagen zu Krankheiten der AnwohnerInnen bewiesen. Beeinflusst dieses Ergebnis die Politik von heute?
Wir haben damals sehr viel Aufsehen erregt. Selbst ThyssenKrupp war ziemlich in Unruhe versetzt. Wir haben fest gestellt, dass sich die Stoffe von der Verbrennung in den Körpern der untersuchten Mutter-Kind-Paare wieder fanden, in einer viel höheren Dosis als in der Vergleichsgruppe. Auch ihre DNA ist verändert. Das könnte ein Hinweis auf ein erhöhtes Krebsrisiko sein.
Welche Krebsarten sind das?
Vor allem Lungenkrebs. Die AnwohnerInnen atmen im Prinzip ähnliche Stoffe wie KettenraucherInnen. Aber auch andere Organe können betroffen sein. Ob sich daraus wirklich Krebs entwickelt, ist aber noch nicht ausreichend erforscht.
Die alte Anlage ist weg, aber die AnwohnerInnen sind die selben. Werden sie ihr geschädigtes Erbgut an ihre Kinder weiter geben?
Nein, das war ein positives Ergebnis. Anders als zum Beispiel die Feinstäube oder Blei, die sich direkt auf das Kind im Mutterleib auswirken, ist das hier nicht so.
Wie weit müssten die Menschen denn wegziehen, um sich der Emissionen ganz zu entziehen?
Das ist unterschiedlich und hängt ganz entscheidend vom Wetter ab: Je nach Windstärke und Richtung werden die Schadstoffe weiter transportiert. Generell sind sie aber im näheren Umkreis von einigen hundert Metern konzentriert.
Wie können sich AnwohnerInnen von Industrieanlagen schützen?
Gar nicht. Natürlich können sie allgemein gesund leben, das heißt sich gesund ernähren, Sport treiben. Das wirkt präventiv – wie bei jedem Menschen.
Also bleibt doch nur der Umzug?
Ach, ich weiß nicht. Im Straßenverkehr lauern auch viele Giftstoffe, selbst beim Würstchen grillen. Jetzt ist wieder Grillzeit, die ist auch schädlich für die Gesundheit.
INTERVIEW: ANNIKA JOERES
Hinweis: Michael Wilhelm, Leiter der „Hot-Spots-Studie“ und Professor für Umweltmedizin an der Ruhr-Uni Bochum