: Zwangsbehandlung für’s PsychKG
MENSCHENRECHT Um behinderte Menschen zwangsweise in der Psychiatrie zu behandeln, muss das Psychisch-Kranken-Gesetz geändert werden, so der Senat. Sie einzusperren, soll weiterhin gehen
Kirsten Kappert-Gonther, Grüne
Das Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG) in Bremen muss geändert werden. Das antwortet der Senat auf eine Anfrage der Bürgerschaftsfraktion der Grünen und SPD von Ende April. Die hatten vor dem Hintergrund zweier Urteile des Bundesverfassungsgerichts gefragt, ob das Bremer Gesetz, das Schutz und Zwangsmaßnahmen von psychisch kranken Menschen regelt, mit der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) vereinbar sei.
Zwar meinen die meisten, dass es sinnvoll ist, psychisch kranke Menschen einzusperren, sobald sie andere bedrohen. Dass es aber gegen die Menschenrechte verstößt, wenn ein Gesetz nur für eine Minderheit gilt, sagen die anderen und fühlen sich durch die UN-Behindertenrechtskonvention bestärkt. Das PsychKG, das dies in Bremen regelt, muss nun nicht grundsätzlich geändert werden, sagt der Senat, aber in Bezug auf die Möglichkeit, psychisch Kranke gegen ihren Willen mit Medikamenten zu behandeln, wie es Paragraph 22 des PsychKG regelt.
Denn für die entsprechenden Landesgesetze in Reinland-Pfalz und Baden-Württemberg hatte dies das Bundesverfassungsgericht bereits für rechtswidrig erklärt. Am Dienstag bestätigte der Bundesgerichtshof diese Rechtsauffassung: Die zwangsweise Vergabe von Medikamenten, Psychopharmaka, ist demnach nicht mehr ohne richterliche Entscheidung zulässig.
Aus Sicht des Bundesverbandes Psychiatrie-Erfahrener (BPE) geht das nicht weit genug, Psychisch-Kranken-Gesetze gehören für sie komplett abgeschafft. Dass die BRK das PsychKG berührt, sieht auch der Senat: Im Sinne der Konvention, die seit 2009 in Deutschland rechtsverbindlich ist, gilt auch eine chronische psychische Krankheit als Behinderung. Die BRK folgt dem Leitbild der „Inklusion“, nach der sich die Gesellschaft auf die Individualität und Vielfalt ihrer Mitglieder einstellen muss und nicht umgekehrt.
Für die Psychiatrie-Erfahrenen folgt daraus eine andere Auffassung von psychischer Krankheit überhaupt. Die Möglichkeit, jemanden einzusperren, weil er sich oder andere gefährden könnte, müsse – wenn überhaupt – für alle Menschen gleichermaßen gelten. „Psychisch Kranke sind nicht gefährlicher als andere“, so Miriam Krücke vom BPE. „Es gibt mehr Leute, die bei klarem Kopf schreckliche Dinge tun.“ Das aber sieht der Senat anders.
Auch der Landes-Behindertenbeauftragte Joachim Steinbrück kann sich eine komplette Abkehr von Zwangseinweisungen schwer vorstellen. Die Änderungen im PsychKG aber müssten wesentlich weiter gefasst werden als nun vom Senat in Aussicht gestellt. Alle Zwangsmaßnahmen bedürften einer Revision: „Viele Gutachten sind Klischee-geleitet, hier braucht es eine Qualitätssicherung.“ Die Richter, die über Zwangseinweisungen und -Medikationen entscheiden, müssten auch die Alternativen dazu kennen. Und: Steinbrück fordert einen kostenlosen Rechtsbeistand für alle, die zwangsweise eingewiesen werden, „um Verfahrensfehler aufzudecken“.
„Der Prozess der Novellierung muss für eine weitere Phase der Psychiatrie-Reform genutzt werden“, sagt die grüne Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther. Sie sei da optimistisch, solange die nicht an den Betroffenen und Angehörigen vorbei geplant werde. Ansetzen müsse man aber ohnehin früher, bevor das PsychKG überhaupt angewendet wird: „Wir müssen die Anlaufstellen ausbauen, wo Meschen, die in einer psychischen Krise sind, frühe Hilfe bekommen.“ JPB