: „Man kann sich nur auf sich selbst verlassen“
MEINUNGSFREIHEIT Keines der Bücher von Liao Yiwu durfte bisher in China erscheinen. Ihm geht es darum, die Lebensverhältnisse in Chinas ehrlich zu beschreiben
Liao Yiwu, geboren 1958 in der Provinz Sichuan, Schriftsteller und Musiker. 1989 trug er öffentlich das Gedicht „Massaker“ vor Foto: Archiv
taz: Herr Liao, warum lässt man Sie nicht fahren?
Liao Yiwu: Einen Grund hat man mir nicht genannt. Beamte der Staatssicherheit in meiner Heimatstadt Chengdu haben zweimal mit mir gesprochen und nur gesagt: „Sie dürfen nicht reisen.“ Vor einiger Zeit wollte ich nach Australien fahren, da hat man mich auch gestoppt. Damals hieß es, meine Ausreise würde dem Ansehen Chinas beträchtlichen Schaden zufügen.
Was hatten Sie in Deutschland vor?
Mein Buch ist in einem großen deutschen Verlag erschienen. Dort versprach man sich von meiner Anwesenheit Werbung für das Werk. Und ich wollte nach Deutschland fahren, um den Lesern meine Geschichten aus China zu erklären.
Warum ist Ihr Buch in China verboten?
Das ist schon 2001 geschehen. Damals hatte die Zeitung Südliches Wochenende gerade ein Gespräch mit mir über meine Arbeit veröffentlicht, als „Dialog über Interviews mit Chinesen aus der Unterschicht“. Das erregte in der Öffentlichkeit Aufsehen, die Zeitung bekam großen Ärger, der Chefredakteur wurde gefeuert, die Ressortleiter wurden ausgetauscht. Seitdem darf mein Name in den Medien nicht mehr genannt werden. Trotzdem habe ich nicht aufgehört, Chinesen aus den ärmsten Schichten zu interviewen. Bis heute habe ich mit 300 Menschen gesprochen und ihre Geschichten aufgeschrieben. Einige davon wurden in den USA veröffentlicht, in die deutsche Ausgabe sind noch weitere Interviews aufgenommen worden.
Woher kennen die Chinesen Ihre Werke?
Kein einziges meiner Bücher ist bislang in China erlaubt worden. Aber ich stelle sie ins Internet, und sie werden in Hongkong und in Taiwan gedruckt. In China kursieren zudem Raubkopien, ohne die ursprünglichen Fotos und mit vielen Druckfehlern.
Warum werden manche Bücher in China verboten und andere dürfen erscheinen, obwohl die sich auch mit heiklen Themen wie Korruption und Armut beschäftigen? Das ist im Ausland schwer zu verstehen.
Das müssen Sie nicht mich, sondern die Regierung fragen. Ich bin nur ein Schriftsteller. Ich war nach 1989 im Gefängnis, aber das ist lange her. Ich bin ja nicht der Einzige, der über unser Gesellschaftssystem schreibt. Meine Geschichten haben gar nicht die Absicht, die Regierung schlecht aussehen zu lassen. Ich will nur die Geschichte Chinas dokumentieren. Als Schriftsteller habe ich die Pflicht, diese Ereignisse und Lebensgeschichten aufzuzeichnen. Ich verstehe es wirklich nicht. Ich wollte doch nicht nach Deutschland fahren, um Parolen zu rufen und zum Umsturz aufzuhetzen! Die chinesische Regierung hat keinen Grund, sich Sorge zu machen. Ich laufe nicht weg. Wenn ich in Deutschland bleiben würde, hätte ich nichts mehr, worüber ich schreiben könnte.
Sie haben im Gefängnis gesessen, warum?
1989 war ich ein junger Poet. Nach dem 4. Juni verfasste ich ein Gedicht unter dem Titel „Massaker“, und es wurde über einen ausländischen Radiosender ausgestrahlt. Dann machten wir einen Film über die Ereignisse – und die ganze Filmcrew kam ins Gefängnis. Das war 1990. Die meisten erhielten eine Haftstrafe von ein paar Monaten bis zwei Jahren, ich bekam vier Jahre. Danach wurde ich noch ein paar Mal unter Hausarrest gestellt, ohne Gerichtsurteil.
Die Vorsitzende des chinesischen Schriftstellerverbandes, Frau Tie Ning, hat gerade erklärt, in China säße heutzutage kein Schriftsteller wegen seiner Werke im Gefängnis. Wer inhaftiert sei, habe sich wohl etwas zuschulden kommen lassen und gegen das Gesetz verstoßen.
Das ist Unsinn. Damals kam ich wegen meines Gedichts ins Gefängnis. Aber ich kann verstehen, warum sie das sagt. Sie gehört zu jenen, die sich innerhalb des Systems befinden. Diese Leute bekommen wenig davon mit, wie es in China wirklich aussieht. Auch im Ausland gibt es Schriftsteller, die in so einer Art System leben, man kann sie wohl regierungsnahe Autoren nennen. Die werden gern nach China eingeladen, wo sie sich prächtig mit ihren hiesigen Kollegen unterhalten. Das ist wie ein Interessensnetzwerk. Aber ich hoffe, dass die Leute im Westen nicht vergessen, dass es unter den chinesischen Schriftstellern und Dichtern eine Gruppe von Untergrundautoren gibt, die Meinungsfreiheit brauchen, und die Wahrheit. Es ist wahr: Der Kalte Krieg ist vorbei. Aber wir müssen weiterhin Zeitzeugen sein, das Leiden der einfachen Menschen dokumentieren.
China feiert am 1. Oktober den 60. Jahrestag der Staatsgründung. Werden Sie feiern?
Ich glaube, 60 Jahre sind nur ein winziger Moment in der langen Geschichte Chinas. Die meisten Dynastien haben 200 bis 300 Jahre gedauert. Wenn die Regierung glaubt, dass 60 Jahre wichtig sind, soll sie feiern. Mich berührt das nicht.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Man soll seine Hoffnungen niemals von seinem Land oder von der Gesellschaft abhängig machen, man kann sich nur auf sich selbst verlassen. Ich schreibe und mache Untergrundmusik, das ist alles. Auch wenn das Internet kontrolliert wird, auch wenn wir keine Redefreiheit haben: Solange es nur ein oder zwei Leute gibt, die meine Arbeiten lesen, habe ich das Gefühl, etwas geleistet zu haben. Aber für den Staat und die Gesellschaft habe ich keine großen Hoffnungen.
Womit verdienen Sie ihr Geld?
Ich lebe vom Schreiben. Außerdem verdiene ich noch etwas mit meinen Auftritten als Untergrundmusiker. Ich bin ziemlich bekannt in diesen Kreisen. Ich spiele die Harmonika und singe Songs, von denen Sie sicher nie gehört haben. Manchmal kann ich bei einem Auftritt ein paar Hundert Yuan einnehmen (ein paar Dutzend Euro). Vergangenes Jahr wurde mein Buch in den USA publiziert. Die Tantiemen habe ich mir mit dem Übersetzer halbe-halbe geteilt. In China kann man mit wenig überleben, darin bin ich gut.
INTERVIEW: JUTTA LIETSCH