: Porträt eines Mannes im eigentlich besten Alter
CRIME SCENE Eine linke Studentin soll Selbstmord verübt haben. Emrah Serbes schickt seinen Kommissar kreuz und quer durch ein verschneites Ankara: „Behzat Ç.“
Eine irritierende Nebensache an diesem Krimi, der in Ankara spielt, ist die Tatsache, dass wiederholt die bevorstehende Pensionierung des ermittelnden Kommissars Behzat Ç. erwähnt wird. Bemerkenswert wäre das an sich nicht, wenn man nicht wüsste, dass Behzat Ç. erst Anfang vierzig, nach durchschnittlichem EU-Maßstab also ein Mann im besten erwerbsfähigen Alter ist. Auch sonst ist die Lektüre lehrreich. Behzat Ç. muss einen angeblichen Selbstmord einer Studentin aufklären, die in linken Kreisen verkehrt hat. Die Ermittlungen führen ihn unter anderem an die Universität, wo es eine große Mensa für die Rechten und eine deutlich kleinere für die Linken gibt. Der Autor selbst hütet sich derweil vor der allzu offenen Preisgabe seiner politischen Sympathien und verteilt angenehme und unangenehme Charakterzüge gleichmäßig auf Figuren von beiden Seiten des politischen Spektrums.
Behzat Ç. selbst bewahrt eine stoisch neutrale Haltung. Zwar hat er, was seine angestrebte Karriere beim Militär frühzeitig beendete, einem hohen Offizier schon mal die Zähne ausgeschlagen. Aber auch als Polizist agiert er ja immer noch als Vertreter des türkischen Staates. Und die staatlichen Ordnungsmächte kommen hier gar nicht gut weg. Von Folter im Polizeigewahrsam ist mehrfach die Rede, und dass von den Kollegen von der Geheimpolizei absolut nichts Gutes zu erwarten ist, ist klar.
Die tote Studentin, 21-jährige Tochter eines schwerreichen Unternehmers, war, wie sich herausstellt, nicht nur im politischen Denken sehr selbständig, sondern darüber hinaus schwanger. Dieser Umstand erweitert den Kreis der Verdächtigen beträchtlich. Die Stärke dieses Buches bedingt gleichzeitig auch seine gewisse Schwäche als Kriminalroman. Die Fähigkeit des Autors, Milieus und Typen farbig zu zeichnen und so ein buntes Panoptikum von Menschen und Orten im winterlichen Ankara zu entwerfen, macht die Lektüre einerseits zu einer abwechslungsreichen, oft amüsanten Angelegenheit. Andererseits ist es kaum möglich, das ungewohnt zahlreiche Nebenpersonal auseinanderzuhalten; und oft hat man keinen blassen Schimmer, aus welchen Gründen Behzat Ç. gerade durch die verschneite türkische Hauptstadt unterwegs ist.
Aber dabei bekommt man tiefe Einblicke in sein Seelenleben. Behzat Ç. ist ein einsamer Wolf und darin ein, wenngleich unfreiwilliger Bruder von Philip Marlowe oder Kurt Wallander. Er geht allein durch dieses Leben, seit seine Frau ihn vor elf Jahren verlassen hat, und hat sich daran gewöhnt, seine tiefe Lebensmelancholie hier und da im Raki zu ertränken.
Behzat Ç. schickt sich gerade an, eine zweite Laufbahn als Fußballtrainer zu planen, als der Autor ihm zum Schluss noch die ultimative Lebenskatastrophe zustoßen lässt. Das kommt in Anbetracht der ansonsten durchaus humorvollen Ausrichtung überraschend, ja geradezu schockierend. Warum lässt ein Autor seine Hauptfigur derart ins Unglück stürzen? Vermutlich hat er mit Behzat Ç. noch einiges vor. Die Tatsache, dass schon in Kürze ein Nachfolgeroman auf Deutsch erscheint, deutet jedenfalls darauf hin, dass es mit der Pensionierung wohl doch noch nichts geworden ist. KATHARINA GRANZIN
■ Emrah Serbes: „Behzat Ç. – Jede Berührung hinterlässt eine Spur“. Aus dem Türkischen von Oliver Kontny. binooki Verlag, Berlin 2012, 318 Seiten, 15,90 Euro