: Schnittig im Wind
Leichte Hüllen: Die Ausstellung „Shape Mission“ im Berliner Meilenwerk widmet sich italienischem Autodesign. Es geht um die Überwindung des Raums, im Vergleich mit anderen Technologien wirken die Limousinen heute trotzdem wie Dinosaurier
VON MICHAEL KASISKE
Italienische Autos beeindrucken stets durch eine besondere Prise Vision und Eleganz. Das mag in dem seit der Antike ungebrochenen Hang zur prominenten Allüre begründet sein. Konzept und technischer Fortschritt finden zwar ihren Niederschlag, werden jedoch stets eigenartig und formal verfeinert. Im Bewusstsein um dieses nationale Kennzeichen steht auch die vom Italienischen Kulturinstitut initiierte Wanderausstellung „Shape Mission“, die derzeit im Berliner Meilenwerk Station macht.
Im Eventbereich dieses „Forums für Fahrkultur“ werden eine Auswahl von Skizzen, Konstruktionszeichnungen und Produktfotografien aus den Archiven der weltbekannten Karosseriewerkstätten Bertone, I.DE.A Institute, Italdesign Giugiaro und Pininfarina präsentiert. Diesen Unternehmen stand lange Zeit jeweils ein Patriarch vor, der bis zur endgültigen Etablierung firmeneigener Designabteilungen in den Automobilkonzernen die unangefochtene Position als Trendgeber in der Autowelt inne hatte. Battista „Pinin“ Farina etwa setzte weltweit Maßstäbe mit stets windschnittigen Karosserien, wie die des Alfa Romeo Spider, der zu einem Emblem der 1960er-Jahre wurde.
Der Fokus der Ausstellung richtet sich aber auf die Gegenwart. Die in Originalgröße vorgestellten Prototypen Ferrari Rossa (Pininfarina, 2000) und Toyota Alessandro Volta (Italdesign, 2004) sowie die Modelle Lampo (I.DE.A. Institute, 1994) und Lotus Emotion (Bertone, 1991) weisen in eine Richtung, die den Glauben an ein immer schnelleres Fortkommen suggerieren sollen.
Mit zwölf Zylindern oder hoher Geschwindigkeit bei geringem Energieverbrauch, mit einer leichten Hülle aus Aluminium oder einer aerodynamisch geformten Außenhaut versuchen die Autodesigner den Spagat zwischen der Physik des Materials und dem menschlichen Wunsch nach Überwindung des Raums. In intellektueller Konkurrenz zur Rasanz von elektronischer Datenübertragung wirken die Limousinen jedoch wie Dinosaurier. Offensichtlich hat der Kurator Paolo Tumminelli, Professor für Designkonzepte an der International School of Design in Köln und Verfasser des Buches „Car Design“, sich bei der Auswahl zu sehr von der Immanenz des Autodesigns leiten lassen, anstatt die Bedeutung des Fahrzeugs und damit auch der Karosseriebauer im Hier und Jetzt zu definieren.
Eine derartige Verankerung ist freilich notwendig, soll das Auto eine Zukunft haben. Sonst wäre die hochrangig besetzte Ausstellungseröffnung durch Tumminellis Schwiegervater, dem Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement, nicht mehr als eine freundliche, gleichwohl leere Geste der größten europäischen Autoindustrienation.
Gerade etwas mehr als ein Drittel des deutschen Jahresumsatzes, nämlich 22 Milliarden Euro, erwirtschaftet die italienische Industrie mit Automobilteilen und -komponenten und steht damit knapp nach Frankreich an dritter Stelle. Zur Recht rückt die Ausstellung ihren geografischen Schwerpunkt Piemont ins Blickfeld, der bislang vor allem mit der Familie Agnelli und Fiat identifiziert wurde. Kaum jemand ahnt, dass die beiden erfolgreich nach der Ölkrise entwickelten Massenprodukte Volkswagen Golf (1974) und Fiat Panda (1974) außerhalb der großen Werke bei Italdesign entwickelt wurden.
Das im Atrium gezeigte, als Vorläufer des Automobils apostrophierte Gefährt von Leonardo da Vinci ist hingegen oft zitiertes, dröges Beiwerk. Die am Computer generierten Zeichnungen sind vom skizzenhaften Ursprung weit entfernt. Das Fahrzeug wäre durch die Entspannung aufgezogener Federn in Bewegung geraten und mochte zur Belustigung höfischer Gesellschaften dienen. Als Fortbewegungsmittel – an diesen Zweck des Automobils soll angesichts des in der Ausstellung unterstellten Primats der Ästhetik nachdrücklich erinnert werden – war es von Leonardo nicht ersonnen worden.
Auch die Frau an der Kasse erinnern die ausgestellten Modelle zu wenig an das gewohnte Auto. Ihre Zuneigung gehört dem blaumetallicfarbenen Jaguar aus den 1960er-Jahren, einer der zahlreichen fahrbereiten Kleinode im Meilenwerk. Der Berliner Treffpunkt von Autoliebhabern ist kurioserweise ein ehemaliges Straßenbahndepot, nun gefüllt mit der Konkurrenz des öffentlichen Verkehrs.
Doch selbst Nichtautofahrer können sich der Schönheit des individuellen Fahrens hier schwerlich entziehen, wenngleich das Auto angesichts zunehmend verknappter Energieträger vielleicht dereinst zum Stillstand kommen mag. Und dann zum Beispiel als Skulptur im Wohnzimmer enden und der Gleichung zwischen Sessel und Fernseher eine eigene Form geben könnte.
Bis 19. August täglich 12–19 Uhr,Meilenwerk Berlin, Wiebestr. 36–37, Moabit. Führungen Sa. und So. 15 Uhr