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Archiv-Artikel

Ich müsste Justizminister sein!

WILFRIED JAHN

Ich vergleiche das immer mit Angeln. Wenn man einen Fisch angelt, muss man gucken, ob der wirklich den Haken tief genug geschluckt hat, damit man den Fisch rausziehen kann. Und das sind diese Banken, die den Haken besonders tief schlucken lassen. Weil da kommt man normalerweise nur ganz schwer wieder raus.

Wir haben ja ’ne Leistungsgesellschaft, sieht man ja an all den Dingen, die man haben muss, wenn man etwas sein will. Was mich immer wieder beeindruckt bei den Menschen, die Schulden haben, ist, dass sie sich ganz stark in sich selbst zurückziehen. Kontakte abbrechen. Es gibt Menschen, da zerbrechen dann die Beziehungen darüber, die können nicht mehr schlafen, werden krank.

Auslöser von Überschuldung ist in erster Linie Arbeitslosigkeit. Wenn dann im Haushalt auf einmal nicht mehr hundert Prozent Einkommen da sind, sondern nur noch sechzig Prozent. Ein zweiter Auslöser ist die Trennung. Auch nachvollziehbar für jeden, Kinder sind ja in diesem Land häufig ein Armutsrisiko.

Es gibt Banken, die haben sich darauf spezialisiert, auf Verbraucherkredite. Die sagen dann: „Okay, kommt doch zu uns, wir übernehmen den alten Kredit, wir übernehmen auch deinen Dispositionskredit, der in der Regel dann schon ausgeschöpft ist, und machen ’nen neuen Kreditvertrag. Und du kriegst außerdem noch was dazu.“ Zwischen acht und zehn Prozent aller Haushalte in Deutschland sind überschuldet, mit steigender Tendenz.

Der schwerste Schritt, davon bin ich überzeugt, ist es, den Klingelknopf bei der Schuldnerberatung zu drücken. Häufig haben wir bei der Caritas-Schuldnerberatung Menschen, die voller Angst ins Erstgespräch kommen. Und befürchten, so steht’s ja auch in der Post, die sie bekommen, dass die Pfändung kommt, dass sie inhaftiert werden können. Uns geht es nicht darum, zu sagen: „Hättest du doch bloß …“ Was mich nervt, ist, wenn Leute weiterhin spielen. Also das gar nicht wahrhaben wollen. Und auch unehrlich sind.

Wir können gegen diese übermächtigen Konzerne nicht angehen, was wir machen können, ist, dass wir die Leute befähigen können, damit umzugehen.

Ich müsste Justizminister sein! Dann würde ich dafür sorgen, dass das Verbraucherinsolvenzverfahren reformiert wird.

Hinweis:Wilfried Jahn, 55, Schuldnerberater, Berlin■ Das Video von Wilfried Jahn auf taz.de/unerhoert