Baggypants in der Unterzahl

RAP Beim Hamburger Spektrum-Festival wurde mit alten HipHop-Klischees aufgeräumt und den neuen Strömungen ein Raum geboten. An weiblichen Acts aber mangelt es noch

Es scheint, als ob die HipHop-Szene sich selbst von ihrem überreproduzierten und verstaubten Graffiti-, Gangster- und Coolnessgehabe befreie, und es macht Spaß, ihr dabei zuzuschauen

VON CARLA BAUM

Was für eine Kulisse, um zu HipHop-Beats mit dem Kopf zu nicken. Möwen kreisen um die alten Speicher des Hamburger Freihafens, der Wind hat die Wolken weggeblasen. Drei Wochen bevor hier das Dockville-Festival stattfindet, wird ein Teil des Geländes von den BesucherInnen des erstmals stattfindenden Spektrum-Festivals schon mal warmgetrampelt.

Gleich zu Beginn liegt die Niveaulatte ziemlich hoch. Die Stimme von Tracey Duodu treibt mitten am Tag ins dunkle Zelt. Dort stehen 14th auf der Bühne, ein englisches Duo, das House-, Elektro- und Soulklänge in tanzbarer und bezugreicher Musik verarbeitet. Sie, eine Souldiva mit geschmeidigen Bewegungen und Erykah-Badu-Stimme, singt immer wieder „Hiiiide yourself“. Gänsehautgarantie beim langen i. Er, Typ britischer Schuljunge, wandert nervös zwischen Keyboard und Laptop herum und lässt zwischendurch, wie nebenbei, die Beats reinknallen.

Von denen könnte man noch mehr hören. Doch es geht weiter, rüber zur kleinen, liebevoll aus Holz gezimmerten Hauptbühne, wo später die Orsons spielen. Bleibt noch Zeit, sich das Publikum näher anzuschauen. Ein bunt gemischtes, ziemlich junges Volk, Teenies mit „Die Orsons“-Pullovern, StudentInnen mit Jutebeuteln, Eltern mit Kindern. Vorbei die Zeiten, in denen man seine Szenenaffinität durch XXL-Sweater und Baggypants mit großen Markenaufdrucken bekunden musste.

Bewegung der Vielfalt

Nicht nur an den aufgelösten Dresscodes sieht man, dass eine Bewegung in der HipHop-Szene steckt, eine Bewegung, die sich der Vielfalt zuwendet. Diese aufzugreifen war die Motivation der OrganisatorInnen, die alle auch in die Planung des Dockville-Festivals involviert sind und das Spektrum-Festival mit relativ knappem Budget auf die Beine stellten. „Wir wollten nicht die alten HipHop-Stereotypen vervielfältigen, sondern der Bewegung, die sich nach links und rechts umschaut, einen Raum bieten“, sagt Jean Rehders, einer der Organisatoren. So bildet HipHop ganz klar das Fundament des Spektrums, doch sind die Sounds, die daran anknüpfen und das Genrespezifische in verspielten Experimenten weiterverarbeiten, durch Vertreter wie den französischen Beatproduzenten Débruit nicht minder laut zu vernehmen.

Die neue Generation des deutschen HipHop hat im Jugendalter das Herz an klassischen Rap oder an die 1995er Formationen um die Hamburger Beginner verloren und weiß diese Einflüsse nun mit postmoderner Ironie, gesunder Distanz und großer Liebhaberei zu verarbeiten. Es wird sich, über die Genregrenzen hinweg, weit über den Tellerrand gelehnt. Es scheint, die HipHop-Szene befreie sich damit selbst von ihrem überreproduzierten und verstaubten Graffiti-, Gangster- und Coolnessgehabe, und es macht Spaß, ihr dabei zuzuschauen. Als wörtlich gemeinte Verkörperung dieser Befreiungsbewegung stürmen dann die Orsons die Bühne und feiern eine einstündige Party.

Die selbsternannte „Rapband der Liebe“ spielt mit Männlichkeits- und Rapklischees, „Love is my Religion“ steht auf dem T-Shirt von Rapper Kaas, eine Feder steckt in seinem Stirnband. Choreografische Tanzeinlagen und Schlager-Samples laden zu schallendem Gelächter, pulsierende und wummernde Beats zum gemeinsamen Durchdrehen ein. Die Orsons versprühen positive Energie, ohne dabei, wie etwa ihre Kollegen von Deichkind, ganz dem unpolitischen Hedonismus zu verfallen.

Gepflegter Battlerap

Es scheint schon lange her, dass bei Hamburger HipHop-Festivals nur Hamburger vertreten waren. Lokalpatriotisches Gebattle à la „Hamburg City rules, wer behauptet was anderes“, wie Samy Deluxe 1999 verlauten ließ, spielt keine Rolle mehr.

Gepflegten Battlerap gibt es trotzdem noch, dafür ist der geniehafte Texter Retrogott, der das Publikum mit seinen wortmächtigen Arrangements in respektvolles Staunen versetzt, wohl der beste Beweis. Die vom Namen des Festivals propagierte Vielfalt hinkt einzig noch in Sachen Geschlechtergleichheit. Die auf der Bühne vertretenen Frauen kann man an einer Hand abzählen, und von ihnen ist einzig Tracey Duodu keine Backgroundsängerin.