: Kurzer Prozess mit den Neuwahlen
Das Bundesverfassungsgericht hat nicht viel Zeit, um die beiden Klagen gegen die Auflösung des Bundestages zu entscheiden. Doch es braucht sie auch nicht
FREIBURG taz ■ Wenn es sein muss, kann das Bundesverfassungsgericht äußerst schnell arbeiten. Zwar liegen manche Klagen in Karlsruhe bis zu zehn Jahre herum, das Verfahren um die geplante Neuwahl am 18. September aber wird sicher mit Hochdruck bearbeitet.
Offiziell gibt es noch keine Stellungnahme zum Zeitplan der Richter. „Bislang hat der Bundespräsident ja noch nicht einmal den Bundestag aufgelöst“, erklärte gestern eine Sprecherin. Deshalb liegt auch noch keine der angekündigten Klagen vor. Sie können sich nur gegen die Neuwahl-Anordnung des Bundespräsidenten richten, die jedoch ist noch nicht erfolgt.
Wenn Horst Köhler sich entschieden hat, kann es schnell gehen. „Ich werde bis spätestens nächste Woche meinen Schriftsatz einreichen“, sagte Wolf-Rüdiger Schenke der taz. Der Mannheimer Rechtsprofessor vertritt den Grünen-Abgeordneten Werner Schulz, der den von Kanzler Gerhard Schröder beschrittenen Weg zu Neuwahlen für verfassungswidrig hält. Ebenfalls eine Klage angedroht hatte die SPD-Abgeordnete Jelena Hoffmann. Ihr Schriftsatz werde ebenfalls binnen weniger Tage in Karlsruhe eintreffen, versicherte ihr Anwalt Hans-Peter Schneider aus Hannover.
Sind die Klageschriften eingegangen, folgt die mündliche Verhandlung. Sie kann nur entfallen, wenn alle Beteiligten darauf verzichten. Doch die Anwälte von Werner Schulz und Jelena Hoffmann erklärten übereinstimmend, dass sie die mündliche Verhandlung für wichtig halten, um ihren Standpunkt noch einmal darzulegen.
Auch 1983, als der damalige Bundespräsident Karl Carstens nach einer fingierten Vertrauensfrage von Kanzler Helmut Kohl den Bundestag vorzeitig auflöste, gab es eine solche Verhandlung. Die Chronologie von einst gilt auch heute als Maßstab. Am 6. Januar ordnete Carstens Neuwahlen an. Die Klagen von vier Abgeordneten gingen in Karlsruhe zwischen dem 17. und 20. Januar ein. Schon eine Woche später, am 25. Januar, fand die eintägige Verhandlung statt. Drei Wochen darauf, am 16. Februar, verkündete das Gericht sein Urteil und lehnte die Klagen ab. Erneute drei Wochen später fand wie geplant die Neuwahl statt.
Erschwert wird ein straffer Zeitplan diesmal allerdings durch die Ferienzeit. Hier müssen die Verfassungsrichter wohl Opfer bringen. Udo Di Fabio, der als berichterstattender Richter Verhandlung und Urteil vorbereitet, ging mit gutem Beispiel voran und sagte seinen Urlaub ab. Andere Richter werden bei Bedarf wohl aus den Ferien anreisen.
Möglicherweise wird das Urteil diesmal sogar schneller auf die Verhandlung folgen als 1983. Damals musste sich das Bundesverfassungsgericht zum ersten Mal mit der Auslegung von Artikel 68 des Grundgesetzes befassen, der die Vertrauensfrage regelt. Der Zweck der Vorschrift mussten erst noch herausgearbeitet und Maßstäbe formuliert werden. Heute kann sich das Gericht diese Arbeit sparen und auf das alte Urteil zurückgreifen. Es muss lediglich entscheiden, ob Kanzler, Bundestag und Bundespräsident den Vorgaben gerecht wurden.
Die Stabilität der Mehrheitsverhältnisse muss dabei nicht bis ins Detail aufgeklärt werden. Im Urteil von 1983 räumten die Richter dem Bundeskanzler einen Beurteilungsspielraum bei der Frage ein, ob er sich noch der „stetigen Unterstützung durch die Mehrheit des Bundestags sicher sein kann“. Unzulässig sei der Weg zu Neuwahlen über eine fingierte Vertrauensfrage nur, wenn die ausreichende Mehrheit „außer Zweifel“ stehe.
Die Hürden für die Kläger sind hoch. Wolf-Rüdiger Schenke, der Vertreter von Werner Schulz, hält jedoch den Beurteilungsspielraum, der dem Kanzler eingeräumt wurde, für zu groß. Trotzdem es ist fraglich, ob die Richter gleich im ersten Fall nach 1983 ihre Rechtsprechung ändern. Das damalige Urteil sollte ja gerade, indem präzise Maßstäbe aufgestellt werden, der Politik Rechtssicherheit geben. CHRISTIAN RATH