: Wie Ekstase auf Ecstasy
Mein Körper, mein Altar: Im Gastspiel des „Bahia Ballet“ überlagern sich populärer Körperkult und die spirituellen Quellen des Tanzes
Huch, was für Bauchmuskeln! Die Körper, mit denen die Tänzerinnen und Tänzer des Bahia Ballet aus Brasilien in knappen Kostümen auf die Bühne kommen, sind durchtrainiert bis zum Anschlag. An Bodybuilding und Körperdesign, an Konditionstraining und Mittel zum Obenhalten der Energie denkt man angesichts ihrer stets sprungbereiten Spannung. Und wie sie springen, einer nach dem anderen in die Luft schießen, die Körper der andern hinter sich lassen und im Sprung die Richtung und das Tempo zu ändern scheinen! Dann wieder wischen sie mit nachlässigen Schlenkern und ungewohnter Betonung durch ein Vokabular des klassischen Balletts. Abrupt wechseln die Rhythmen der Musik, afrobrasilianische Tradition prallt auf digitalisierten Techno. Einmal rauchen alle Tänzerinnen auf der Bühne, ohne dabei ihren Tanz zu unterbrechen, als müssten sie mal eben kurz dementieren, dass nur hochgetunte Körper diesen Marathon durchstehen.
Es ist ein hochexplosiver Cocktail, dessen Bestandteile sich nicht in jedem Fall miteinander vertragen, den das Bahia Ballet in seiner Choreografie „Paradox“ auftischt. Die Gruppe kommt aus Salvador de Bahia, der Hauptstadt der schwärzesten und ärmsten Region Brasiliens. Das Theater, an dem das Ballett 1981 von Antonio Carlos Cardoso gegründet wurde, ist nach Castro Alves benannt, einem Dichter, der für die Abschaffung der Sklaverei kämpfte. Nach Deutschland, in Berlin in die Komische Oper und in Köln in die Philharmonie, hat das Bahia Ballet die BB Promotion gebracht. Sie nutzt jedes Jahr die Sommerpause der Theater- und Opernhäuser, große Shows als Gastspiele dort zu zeigen – Flamenco, Marcel Marceau, „Stomp“, buddhistische Mönche, Kung-Fu-Spektakel und erstmals das Bahia Ballet. In ihrem Presseheft informieren sie ausführlich über die Entstehung einer afrobarocken Kultur in Bahia, in der sich die Kulte, Rituale und Tänze der verschiedenen afrikanischen Ethnien, indianische Einflüsse und der Katholizismus der Kolonialzeit zueinander ins Verhältnis setzten und Mischformen entstanden. Aber dieses hybride Schillern ist für das Bahia Ballet nur eine ihrer Voraussetzungen und nicht ihr Hauptthema.
Denn mindestens ebenso gehören das klassische Ballett und der Modern Dance zum Vokabular ihrer Choreografien. Und daneben arbeiten sie noch mit der Dynamik von Models, die ein Bild des Reichen und Schönen über den Laufsteg tragen, mit der Ausdauer von Technoparaden und durchtanzten Nächte, mit dem Kitsch und dem Glitzern von Fernsehshows. Ecstasy und Ekstase liegen bei ihnen tatsächlich sehr nah beieinander.
Viel orangefarbene Folie, die das Licht der Bühnenscheinwerfer in einen goldenen und dämmrigen Schein verwandelt, muss zu ihrer Ausstattung gehören. Das Bühnenbild ist ansonsten sparsam, den Raum zu strukturieren wird ganz dem Licht und den Bewegungen anvertraut. Die Musik hingegen, teilweise Auftragskompositionen junger brasilianischer Komponisten, ist oft bombastisch, laut und sakral überladen. Und fast immer ein bisschen zu dick aufgetragen in ihrer Mischung aus verschiedenen Kulturen.
Man wünscht sich manchmal Stille herbei. Und die Verlangsamung. Denn gern würde man einmal genauer beobachten können, wie die Tänzer durch die verschiedenen Ebenen des Bewegungsvokabulars gleiten und mitten in der eben noch klassischen Geste ihr Arm sich in eine Schlange verwandelt, der Raum zwischen Rippen und Hüften zu einer Höhle wird, die das ganze Universum anzusaugen scheint. Da ist viel Symbolistisches dabei, expressive hymnische Gesten, die im Gedächtnis haften. Dazwischen aber tauchen andere Körpersprachen auf, nicht sonderlich betont, vielleicht nur als nahe liegende Überleitung.
Es gibt keine Ausstellung des Exotischen, keinen Samba und keinen Karneval, und das mag manche Erwartungen an Tanz aus Brasilien enttäuschen. Es gibt aber auch kein spezielles Interesse etwa im Sinne der Postcolonial Studies, die unterschiedlichen Körpersprachen in authentisches und fremdbestimmtes Material zu zerlegen. Getanzt werden darf alles, was der Fall ist.
Das Stück „Paradox“ entstand 2000, choreografiert von Tindaro Silvano. Es ist der modernste und ironischste Teil des Abends. „Ja, und?“, fragen ein Tänzer und eine Tänzerin dort, wo sich zuvor die Erwartung an die große Botschaft aufgebaut hat. Sehr viel mehr an den spirituellen Wurzeln des Tanzes hält das Stück „Sanctus Suite (Gebet eines Körpers)“ fest, ein Klassiker der Kompanie seit 1985.
Mein Körper, mein Altar. Es gibt in der „Sanctus Suite“ Momente, in der sich Esoterik und Narzissmus dicht übereinander legen. Fast unerträglich dicht, man würde das Künstlern von hier als Fall schwerer Selbstverliebtheit ankreiden. Und ist dann doch geneigt, es den Brasilianern zuliebe anders zu sehen. Ihr Schönheitsbegriff verträgt wohl sehr viel mehr, er ist noch längst nicht gesättigt, wo wir, an anderen Quellen groß geworden, schon abwinken.
Dem Einzelnen gegenüber steht in der „Sanctus Suite“ das Verschmelzen der Gruppe in amorphen Bildern. Wie die Glieder eines pulsierenden, atmender Organismus tauchen ihre Rücken und Schultern im Dämmer auf und nieder. Sie lösen sich aus dem Kokon ihrer gesammelten Körper wie Blütenblätter, sie tauchen in einen Strom aus Nebel, sie verschwinden in einer großen Blase aus Seide. Und wenn einen auch die Symbolik der Szenen stört, begeistern doch der Erfindungsreichtum und die Schönheit der Formen.
KATRIN BETTINA MÜLLER
Bahia Ballet in der Komischen Oper, bis 26. Juli, Anfangszeiten siehe tazplan