: Einfach stehen geblieben
SOMMER IM MUSEUM (IV) Das Museum Elbinsel Wilhelmsburg ist eine unbeschwerte Zusammenwürfelung geschenkter Pferdeschlitten und alter Särge – und vom Computerzeitalter völlig unbeeindruckt
Warum nicht den Sommer nutzen, um aufzuspüren, was die Peripherie oder – gut versteckt – die eigene Stadt an Kultur zu bieten hat? Wir stellen in dieser Serie einige Museen, Gedenkorte und Initiativen vor, die zu besuchen sich lohnen könnte.
Erst mal einen Kaffee trinken? Erst mal einen Kaffee trinken! Denn wie hatte es der nette Aufseher am Eingang formuliert? „Nach rechts geht es in unser Museum, Eintritt kostenlos; nach links geht es in unser Café, alles sehr kostengünstig.“ Und der Kuchen schmeckt, selbst gebacken natürlich, so dass einen ein Feriengefühl erfasst. Oder wenigstens die wohlige Gemütlichkeit eines in sich ruhenden Sonntags – folgerichtig in einem Museum, das auch nur sonntags geöffnet ist.
Die Ausstellungsräume widmen sich dem bäuerlichen Wilhelmsburg bis Anfang des 20. Jahrhunderts: Ein Pferdeschlitten von 1796 ist aufgebaut, eine bäuerliche Küche und Gerätschaften aus der Milchwirtschaft stehen da. Dazu gesellt sich dieses und jenes: Die Sturmflut von 1962 wird gestreift, leicht verblichene SW-Fotografien der einstigen Wilhelmsburger Werften, im Keller steht ein Sarg.
Mithin versammelt das Haus in fröhlicher Unbekümmertheit Lokales und Gediegenes, von Anwohnern Zugetragenes und Geschenktes. Die hässliche Industrialisierung, die die einst bäuerliche Elbinsel auf den Kopf stellte, bleibt ebenso außen vor wie die aktuellen Gentrifizierungstendenzen in dem Hamburger Stadtteil.
„Was wir bieten können, sind Erzählungen über Wilhelmsburg, wie es früher war – und wie wir dieses ,Früher‘ heute sehen“, sagt Jürgen Drygas. Er ist Erster Vorsitzender des Museumsvereins, und er sagt, man soll sich setzen. Ja, auf die ausgestellten Hochzeitsstühle in der historischen Bauernstube. Und wie er nun anfängt zu berichten von dem Haus, das einst Sitz des Herzogs Georg Wilhelm war, und davon, wie der Weg entlang leidenschaftlicher Liebesgeschichten ins heutige englische Könighaus führte, spürt man den Spaß an der Sache: Unbeschwert von den Fesseln museumspädagogischer Objektivität und der Kontextualisierung, die es anschließend zu dekonstruieren gilt, kann er sich dem widmen, war ihm gefällt.
Dass eines Tages ein anderer Wind durch das Haus wehen könnte, dass Computerterminals den Objekten ihren Charme abjagen, davor solle man sich nicht fürchten: „Selbst wenn wir das wollten, dafür fehlt uns schlicht das Geld.“
Ganz entspannt schaut man von hier aus auch den Vorbereitungen der Internationalen Gartenbauausstellung (IGS) und der Internationalen Bauausstellung (IBA) zu, die Wilhelmsburg seit einiger Zeit auf den Leib rücken. „Die IGS wollte anfangs sternförmig Schneisen zu interessanten Orten im Stadtteil anlegen; eine sollte bis zu unserem Museum führen“, erzählt Drygas. „Zunächst sollten es fünf Schneisen sein, dann drei, nun wird es gar keine. Wahrscheinlich ist das Geld alle.“
Nüchtern betrachtet er überhaupt das Agieren all der Stadtplaner, Landschaftsarchitekten und des sie begleitenden Vermittlungspersonals: „Für mich sind das Wanderarbeiter. Die kommen, planen, bauen und machen – und dann ziehen sie weiter. Unser Museum aber gibt es schon seit mehr als hundert Jahren.“
Und er dreht sich auf seinem Stuhl, von dem aus einst die Brauteltern auf ihre Kinder schauten, die nun hinaus ins Leben strebten, so wie auch heute im Museum geheiratet werden kann. Hier im Museum der Elbinsel Wilhelmsburg ist auf ganz eigene Weise die Zeit stehen geblieben. Sonntags ist das erlaubt. FRANK KEIL
So, 1. 4.–31. 10., 14–17 Uhr, Museum Elbinsel Wilhelmsburg, Kirchdorfer Straße 163, Hamburg