berliner szenen: Neue Heimat beim Friseur
Was das Haareschneiden betrifft, war ich bislang heimatlos. Ein Nomade auf der ständigen Suche nach dem passenden Ort. Öfter dachte ich: Hey, dieser Friseurladen ist der richtige, da gehst du jetzt immer hin. Dann bin ich vielleicht noch mal hin, und irgendwas stimmte nicht. Weil ich den Friseur doch unfreundlich fand oder weil plötzlich ein anderer Friseur da war; oder aber weil der Laden zu teuer wurde. Aber ich glaube, ein wichtiger Grund war immer wieder: Der Friseur fing an zu reden, und ich fand das anstrengend. Weil ich dachte, ich muss jetzt interessante Dinge erzählen. Wie wenn ich auf einer Party in der Küche stehe und smalltalken muss.
Und so ging die Suche weiter. Dabei habe ich keine Wege gescheut. Fuhr mit der U-Bahn in entlegene Bezirke, um einen Laden auszuprobieren. Vor einiger Zeit war ich mal wieder beim Friseur um die Ecke. Dort war nur der Meister und sonst niemand. Er schnitt mir die Haare, ich zahlte, gab Trinkgeld und ging. Alles ganz schnell. Aber ich will eh die Haare nur kurz haben ohne Schnickschnack. Der Friseur hatte so einen melancholischen Blick, war sehr freundlich und sprach fast kein Wort.
Er konnte nicht so gut Deutsch, glaube ich. Aber das war nicht der Grund für seine Schweigsamkeit, da bin ich mir sicher. Er wirkte etwas in sich gekehrt. Mir war das sympathisch. Ich hatte das Gefühl, dass das total in Ordnung ist: Er schweigt, ich schweige, und er schneidet mir die Haare. Ohne Smalltalk-Pflicht. Und die Schnippschnapp-Kurzhaarfrisur war prima, ganz nebenbei gesagt. Vielleicht hab ich mich auch ein bisschen mit ihm identifiziert, ich neige ja auch zur Schwermut. Ungefähr fünfmal war ich jetzt schon dort. Ich glaube, er hat mich sogar wiedererkannt. Vielleicht habe ich eine neue Heimat gefunden, gleich bei mir um die Ecke. Giuseppe Pitronaci
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