Pille nur für Afroamerikaner

Die Welt hat ihre erste „rassisch geschneiderte“ Pille. BiDil, ein Herzmedikament, wurde mit der Einschränkung, dass es nur bei Afroamerikanern wirke und anzuwenden sei, in den USA zugelassen. Kritiker befürchten den Beginn einer rassistischen Medizin

Venter betonte dass die Einteilung in Rassen keine genetische Basis habe

VON STEPHANUS PARMANN

Einige Tage nachdem der Prüfungsausschuss für Herz- und Nierenerkrankungen der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA Mitte Juni die Zulassung der ersten Ethnopille der Welt mit 9:0 Stimmen befürwortet hatte, folgten, wie erwartet, die FDA-Oberen der Entscheidung des speziellen Beratergremiums. Im Beipackzettel des Herzmedikaments BiDil soll stehen, dass das Generikum speziell bei Afroamerikanern wirksam sei. Ihre Entscheidung für BiDil feiert die FDA als Schritt hin zu einer „personalisierten Medizin“. Kritiker halten jedoch dagegen, die Pille sei zur Ethnopille avanciert, um neue Märkte für die Pharmahersteller zu öffnen. Zugleich bestärke sie den Glauben, dass es biologisch begründbare Rassenunterschiede gäbe.

BiDil ist ein Kombipräparat, das aus den Arzneimitteln Hydralazin und Isosorbid-Dinitrat besteht. Eingesetzt werden soll es bei Afroamerikanern mit Herzmuskelschwäche, um die Blutgefäße zu weiten. Auslöser und Ursache der Herzerkrankung bei Schwarzen sei eine genetisch bedingte Funktionsstörung des Herzens. So zumindest lautet die wissenschaftliche Hypothese der Entwickler der Pille. Schließlich sei, so der Kardiologe Clyde Yancy von der University of Texas, Herzversagen bei Schwarzen „eine andere Krankheit“ als bei Weißen.

Nachdem die Firma NitroMed Ende Juli vergangenen Jahres bekannt gab, die Tests an den 518 sich selbst als Afroamerikaner bezeichnenden Personen seien wegen Erfolgs abgebrochen worden, löste dies in der medizinischen Fachwelt eine Debatte um „Rasse und Genetik“ aus. Zu Wort meldeten sich so populäre Genetiker wie Craig Venter und Francis Collins. Gene seien farbenblind, meinte Venter und betonte, dass die Einteilung in Rassen keine genetische Basis habe. Sie diene nur als Mittel der Diskriminierung. Collins hingegen votierte dafür, wissenschaftlich zu klären, ob es nicht doch ethnische Differenzen gebe. „Wenn wir es nicht tun, wird es jemand anders tun, aber nicht unbedingt so gut wie wir.“

Für die Kritiker der Pille ist die Zulassung von BiDil ein Schlag ins Gesicht. „Die Entwicklung von BiDil ist ein Fuß in der Tür – der erste Schritt hin zu einer Medizin, die man als rassistisch ansehen kann“, warnte der New Yorker Soziologe Troy Duster in der Washington Post.

Skeptiker wie er sehen hinter der Ethnopille vor allem auch eine neue Vermarktungsstrategie für Medikamente, die zuvor mehrfach von der FDA abgelehnt worden sind. Dass an der These etwas dran ist, konnte Jonathan Kahn, Leiter des Zentrums für Bioethik an der University of Minnesota, nachweisen. Schließlich scheiterte die Zulassung von BiDil nach jahrelangen klinischen Tests an der Allgemeinbevölkerung 1980 und 1997 wegen Unwirksamkeit.

Kahn stellte fest, dass es aufgrund der differenzierten Auswertung der Versuche keinen Hinweis dafür gab, in den Untergruppen die Schwarzen als besonders empfänglich für die Wirksamkeit des Generikums auszumachen. So hätte der Kardiologe Jay Cohn, Lehrstuhlinhaber an der University of Minnesota, der nun nach 26 Jahren mit dem Kombipräparat zum Erfolg kommt, ebenso 22 andere Gruppen als nächste Versuchsgruppe bestimmen können.

Wie kam es also im Jahr 1997 zum Entschluss Cohns, in der Folge eine Ethnopille für die vermeintliche Rasse der Afroamerikaner zu kreieren? Kahn hat dafür eine einleuchtende Erklärung: 1997 wurde unter der Federführung von Präsident Clinton die FDA durch einen Regierungserlass modernisiert. Von nun an sollten gemäß dem „Food and Drug Administration Modernization Act“ unter anderem Frauen und Minderheitspopulationen wie die Afroamerikaner in Medikamententests gleichermaßen berücksichtigt werden. Nach all den Misserfolgen mit BiDil setzte Cohn nun quasi instinktiv auf „Schwarz“. Mit Unterstützung der Regierungsbehörden und der Schwarzen durfte er also rechnen.

Prompt erhielt er ein Patent auf BiDil als Pille für Afroamerikaner, obwohl die US-Patentgesetzgebung das ausdrücklich nicht erlaubt.

Einerseits sind die von Cohn strategisch ins Feld geführten Statistiken, dass Schwarze doppelt so häufig an Herzversagen sterben wie Weiße, veraltet und falsch. Cohn bezog die Daten – ohne eine Überprüfung der Quellen vorzunehmen – aus einer Studie über rassische Differenzen bei Herzversagen aus dem Jahre 1997 von Daniel Dries vom staatlichen National Heart, Lung, and Blood Institute. Hätte Cohn die Daten ordentlich überprüft, wäre ihm aufgefallen, dass sie aus einem Editorial von Richard Gillum aus dem American Heart Journal von 1987 stammten und sich auf das Jahr 1981 beziehen.

In Wahrheit liegt also das Verhältnis der Sterberate von Schwarzen und Weißen gegenwärtig laut staatlichem Center for Disease Control and Prevention bei 1,08 zu 1. Anderseits fehlt bis heute der vergleichende Test einer signifikanten Wirkung der Ethnopille bei Weißen und die Bestimmung eines genetischen Markers für die rassische Begründung der Wirksamkeit von BiDil bei Schwarzen.

Der Vorsitzende des FDA-Ausschusses, Steven E. Nissen, ein Kardiologe, wiegelte die Kritik, dass der Nachweis für die Wirksamkeit der Pille bei Afroamerikanern fehle, jedoch ab. Solange genetische Screenings nicht in einem weiteren Sinne als bisher verfügbar seien, so Nissen, sei die vorhandene Wirkung der Pille bei der Rasse der Afroamerikaner ein nützlicher Ersatz, um die Pille abschließend beurteilen zu können.

Als Michael Lohberg, Chef bei NitroMed, der Pharmafirma, die das Herzmedikament auf den Markt bringen wird, den Kritikern im Vorfeld antwortete, es sei für ein kleines Unternehmen einfach zu teuer, solch breit angelegte Studien finanziell zu tragen, mag das noch stimmen. Die Behauptung aber, man habe außer den Afroamerikanern keine andere Untergruppe ausmachen können, um BiDil mit der Chance einer signifikanten Wirkung zu testen, ist nur die halbe Wahrheit.

Lohberg wählte einfach eine andere Strategie, um BiDil auf dem Markt zu platzieren. Um den befürchteten Rassismusdebatten erfolgreich entgegenzutreten, leisteten er und Cohn harte Lobbyarbeit und gewannen als Mitstreiter die in den Verbänden organisierten schwarzen Politiker und Kardiologen. So berichtet Waine Kong, Direktor der Gesellschaft der schwarzen Kardiologen, es sei eine weise Entscheidung gewesen, auf die schwarzen Kardiologen zuzugehen und ihre Unterstützung zu suchen. Im Gegenzug für die Schützenhilfe erhielt Kongs Gesellschaft von NitroMed 200.000 US-Dollar.

Erfolgreich präsentiert hatte man das Marketingprojekt Ethnopille auch bei den Congressional Black Caucus (CBC), der Vereinigung der schwarzen Parlamentarier und der Nationalen Gesellschaft für den Fortschritt Farbiger (N.A.A.C.P), einer Organisation, die sich seit 1909 für die Bürgerrechte von Farbigen einsetzt. Lohberg rannte hier offene Türen ein. Denn immer wieder und auch gegenwärtig kämpfen die Verbände gegen Diskriminierung der Schwarzen in der Gesundheitsversorgung.

Mit BiDil setzt NitroMed auf einen Markt, der allein in den USA rund 750.000 Personen umfasst. So hoch schätzt die Investmentbank Friedman, Billings, Ramsey Group, den Anteil der afroamerikanischen Patienten. Der jährliche Umsatz dürfte sich demnach auf 825 Millionen US-Dollar belaufen, so das Geldinstitut. Auf 13 Jahre hochgerechnet, ist das eine enorme Summe, denn bis 2020 gilt das speziell auf die Afroamerikaner abgestimmte Patent.