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in der taz vor 16 jahren: mit lafontaine zum regierungswechsel

Jetzt könnte es mit einem Regierungswechsel in Bonn allmählich ernst werden: In dem Zwischenbericht, den die von Lafontaine geführte SPD-Arbeitsgruppe „Fortschritt 90“ soeben vorgelegt hat, wird endlich Klartext gesprochen. Der Inhalt ist alles andere als sensationell: höhere Kraftstoffsteuer, Abschaffung der Kraftfahrzeugsteuer, neue Abgaben für die Industrie (aus Getränkeverpackungen, Massentierhaltung, Luftschadstoffen, Sondermüll etc.), Tempo 30 in Wohngebieten. Das sind fast schon Ladenhüter, von Bürgerinitiativen, Umweltverbänden, aber auch den Grünen ein ums andere Mal gefordert.

Neu ist, daß diese umweltpolitischen Selbstverständlichkeiten endlich in den Rang eines zumindest vorläufigen Regierungsprogramms erhoben sind. Es waren Laien, die die Umweltfrage als Thema durchgesetzt haben. Unter Umweltminister Töpfers Regie wurde die expertokratische Entmachtung des Laienverstands betrieben. Stillstand, Zermürbung und Gewöhnung ans Nichthandeln. Die SPD hat sich jetzt festgelegt: auf radikale umweltpolitische Schwerpunkte.

Also nicht mehr sozialpolitische Offensive plus Umwelt, sondern Vorrang der Umwelt. Sollte es dabei bleiben, dann hat sie in einem Konflikt, der auch ihre eigene Klientel spaltet, die Akrobatik mit verlogenen Formelkompromissen aufgegeben. Und sie hat eine einfache Wahrheit ausgesprochen: Eine Umweltpolitik, die den Namen verdient, ist nicht umsonst zu haben.

Das ist für diese Partei, in deren Firmenzeichen bisher immer das wohlfahrtsstaatliche Füllhorn geprangt hat, eine geradezu revolutionäre Wende. Politik als Zumutung: diese Veranstaltung könnte ein Ende haben. Die SPD ist – vielleicht stärker, als es dem Taktierer Lafontaine lieb sein kann – im Wort.

Thomas Schmid, 22. 7. 1989. Der nicht mit dem namensgleichen taz-Redakteur zu verwechselnde Autor war ökolibertärer Vordenker der Grünen. Heute ist er Politikchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

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