: „Israels Abzug kann nur ein Anfang sein“
Der Rückzug aus dem Gaza-Streifen darf keine Einzelmaßnahme bleiben, während im Westjordanland neue Siedlungen gebaut werden. Die Aktionen der Hamas könnten zum Sturz der Autonomen Palästinenserbehörde führen
taz: Herr Minister, Sie leiteten im Auftrag der Fatah die Verhandlungen mit der Hamas über ein Ende des gewaltvollen Konfliktes. Worum ging es?
Sufian Abu Saida: Das Problem begann damit, dass maskierte Hamas-Leute auf einen palästinensischen Sicherheitsbeamten schossen, als er versuchte, einen Raketenabschuss zu verhindern. Der Verletzte ist Fatah-Mitglied. Der Zwischenfall war Grund für die Anspannung zwischen der Fatah und der Hamas. Am nächsten Tag wurden einige Autos von Aktivisten beider Gruppen in Brand gesteckt, daraufhin habe ich die Hamas-Führung kontaktiert, um der Gewalt ein Ende zu machen. Wir sind recht schnell zu der Übereinstimmung geraten, dass die Auseinandersetzungen nicht im Sinne der beiden Fraktionen sind. Die Aktivisten sind angewiesen, die Kämpfe einzustellen und eventuelle Hetze zu vermeiden.
Gibt es darüber hinaus politische Gründe? Berichten zufolge wünscht sich die Hamas Mitspracherecht während und nach dem israelischen Abzug aus dem Gaza-Streifen. Warum wehrt sich die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) dagegen?
Es ist genau umgekehrt. Die PA hat der Hamas wiederholt angeboten, nicht nur in Bezug auf den Gaza-Abzug an der Regierung teilzunehmen, sondern bei allen Entscheidungen, auch denen, die das Westjordanland betreffen. Die Hamas sagt, dass sie noch nicht bereit dafür ist und die Wahlen abwarten will.
Wie weit ist die Verschiebung der Wahlen, die auf Anfang Juli angesetzt waren, mit Grund für den Zorn der Hamas?
Ich glaube, dass, sobald die Wahlkommission alle Vorbereitungen für die Wahlen und das Wahlgesetz abgeschlossen hat, es für Palästinenserpräsident Mahmud Abbas kein Problem sein wird, ein neues Datum festzulegen. Wir reden jetzt über den 20. Januar 2006, sicher nicht später.
Ihr Kollege Mohammed Dahlan, Minister für Zivilangelegenheiten, sprach von einem Putschversuch der Hamas. Er sei überrascht, dass die PA noch nicht gestürzt ist. Sind Sie das auch?
Mohammed Dahlan meinte sicherlich, dass das Verhalten der Hamas dazu führen kann, dass die PA stürzt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er glaubt, die Hamas habe das unmittelbare Ziel, die PA zu stürzen. Aber ihre Aktionen könnten dazu führen.
Auch der nationale Sicherheitsberater Dschibril Radschub sprach von der klaren Intention der Hamas, die Führung zu stürzen.
Seine Reaktion ist Ergebnis des Verhaltens der Hamas.
Die Hamas hat ihre Verpflichtung zum Waffenstillstand wiederholt. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass die „Hudna“ diesmal halten wird?
Die Tatsache, dass seit zwei Tagen keine Raketen mehr aus dem Gaza-Streifen abgeschossen wurden, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis unserer Verhandlungen.
US-Außenministerin Condoleezza Rice ist bis zum Wochenende in der Region. Was erwarten Sie von ihrem Besuch?
Die USA müssen Druck auf die israelische Regierung ausüben, zuallererst die Angriffe auf den Gaza-Streifen einzustellen. Das Zweite ist, dass der unilaterale israelische Plan des Abzugs aus dem Gaza-Streifen in einem Zusammenhang zum gesamten Friedensprozess stehen muss. Der Abzug muss ein Schritt in Richtung Frieden sein, keine separate Maßnahme, während parallel dazu weiter Siedlungen im Westjordanland errichtet werden. Wir sind sehr besorgt über die israelischen Pläne, die Siedlungen vor allem in der Umgebung von Jerusalem auszubauen.
Was erwarten Sie für den Tag nach dem Abzug – halten Sie eine neue Intifada tatsächlich für möglich?
Das hängt davon ab. Wir hoffen, dass es sich bei dem Abzug um den ersten, nicht um den letzten handelt. Das wäre der Fall, wenn Israel nach dem aus dem Gaza-Streifen die Besatzung im Westjordanland fortsetzt.
Glauben Sie, dass Israels Premierminister Ariel Scharon weitere Abzugspläne hat?
Nein.
Dann wird es eine neue Intifada geben?
Warten wir es ab.
INTERVIEW: SUSANNE KNAUL