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Archiv-Artikel

Schwarze Nachtgedanken

Ein Neuanfang? Wie grotesk! Zur Lage der Südwest-CDU fällt Manfred Zach nur noch Satirisches ein. Der Kontext-Autor muss es wissen – er war einst Regierungssprecher bei Lothar Späth

Von Manfred Zach

Sind wir alle Opfer?

Hat Stefan Mappus, als er die Anweisungen seines Freundes Dirk Notheis befolgte, in gutem Glauben gehandelt, in der internationalen Finanzwelt sei es Usus, den Mund zu halten, selbst wenn einem unterstellt wird, „Mutti“ töten zu können?

Hat jene „Mutti“, als sie, im Nebenberuf deutsche Bundeskanzlerin, die schwäbische Hausfrau über den grünen Klee lobte, damit in Wahrheit eine verdeckte Ergebenheitsadresse an süddeutsche Finanzhaie aussenden wollen, um ihre Haut zu retten?

Hat jener Notheis, als er sich die Hinzuziehung weiterer Banken strikt verbat, das nur getan, um der schwäbischen Staatskasse unnötige Kosten zu ersparen?

Und hat sich die baden-württembergische CDU, als sie Mappus auf den Häuptlingsschild hob, von dem edlen Vorsatz leiten lassen, nach dem postmodern irrlichternden Vorgänger endlich wieder einen Vormann zu küren, dem das C aus allen Poren dünstet?

Ja, so war es wohl. Und nun sind alle voneinander enttäuscht, auch wir von uns. Denn es kann einen ja schon mutlos machen, wenn man sieht, wie guter Wille, arglos weitergereicht, sich am Ende gegen einen selbst wendet. Wer hat da noch Lust, einem Volk zu dienen, das so undankbar ist, sich dauernd in politische Missdeutungen zu verrennen?

Augen zu und durch

Zum Glück gibt es noch ein paar Aufrechte in der Partei. Leute mit klarem ethischem Durchblick. Sie raten, sich von dem ganzen Schlamassel nicht schlau machen zu lassen. Augen zu und durch. Nicht nachdenken, sondern durchstarten.

Das hat Gewicht, denn die, die so argumentieren, sind meist Vielflieger, die in Berlin, Brüssel oder sonst wo ihr Verantwortungshandgepäck stets griffbereit mit sich herumtragen. Und als Vielflieger wissen sie natürlich, dass ein auf Autopilot programmiertes Flugzeug Kurs hält, egal ob die Besatzung über den Kurs nachdenkt oder nicht.

Warum, so rufen sie uns zu, soll für euch in der Propeller-Provinz etwas anderes gelten als für uns, den bundespolitischen Jetset?

Die Sache hat nur einen Haken: Parteien sind geschlossene Systeme. Und wenn in einem geschlossenen System alle Opfer sind, müssen logischerweise auch alle Täter sein.

Dann hat der Notheis den Mappus vielleicht doch instrumentalisiert, und Mappus hat gewusst, was er tat, als er dem Landtag eine lange Nase drehte. Dann meint „Mutti“ das mit der schwäbischen Hausfrau genau so, wie sie es sagt, vielleicht weil sie schwäbische Hausfrauen politisch für extrem ungefährlich hält.

Und die baden-württembergische CDU wollte im Herbst 2009 exakt jenen Vormann, den sie dann auch bekommen hat.

Jedenfalls, jetzt haben wir alle den Salat – eine alternativlose Alternative zwischen Provinzposse und Bösebubenstück. Motto: „Wir können alles außer Verfassung, Haushaltsrecht und Wirtschaftspolitik.“ Der Rest der Republik feixt sich eins.

Da ist nun eine Menge Kreativität gefragt. Zum Beispiel so: Morgan Stanley findet noch mal zwanzig Aktenordner, in irgendeinem unterirdischen Tresorverlies. Nach dem bisherigen Verlauf der Aufklärungsarbeit dieser Bank würde das niemanden verwundern. Die Aktenordner werden unverzüglich dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung gestellt, womit sie allgemein zugänglich sind. Und was lesen wir aufatmenden Zeitungsleser da?

Es gab noch viel mehr E-Mails zwischen Mappus und Notheis als bisher bekannt! Ja, ist denn niemandem die Schieflage der angeblichen Verquickung von Geld und Macht aufgefallen? Abendfüllende Drehbücher dort, semantische Piktogramme („Lg sm“) hier. Das kann doch nicht alles gewesen sein, das widerspricht doch sämtlichen Macht- und Politiktheorien, von Machiavelli bis Bismarck, von Max Weber bis Niklas Luhmann!

Also: natürlich hat der damalige Regierungschef auf die Ratschläge seines Freundbankers geantwortet – ausführlich, tiefgründig, abwägend, skrupulös geradezu.

„Lieber Dirk“, lesen wir da zum Beispiel, „Dein Rat, einen Volkswirt an der Seite zu haben, der das Ganze gut findet, hat mich zu nächtelangem Studium von Milton Friedman, John M. Keynes und Walter Eucken veranlasst. Ich werde meine Erkenntnisse heute dem Wissenschafts- und dem Wirtschaftsministerium zur vertieften Prüfung zuleiten und bitte Dich, solange Sarko aus dem Spiel zu lassen.“ Eine Bitte, die Notheis bekanntlich komplett ignoriert hat!

Die CDU setzt das donnernde Schweigen fort

Oder: „Lieber Dirk, erlaube mir den Hinweis, dass Deine Mail an die PR-Agentur, ‚der MP natürlich‘ habe den EnBW-Deal ‚eingefädelt‘, staatrechtlich nicht unbedenklich ist. Erstens ‚fädelt‘ ein MP nicht, sondern bestimmt die Richtlinien der Politik, zweitens gibt es keine ‚natürliche‘, d. h. naturgegebene Zuständigkeit eines demokratischen Regierungschefs, sondern nur die vom Volk als dem Souverän auf Zeit übertragene Regierungsverantwortung (siehe Platon, Aristoteles, Tocqueville etc.). Ich bitte Dich, dies bei Deiner künftigen Korrespondenz mit der Agentur zu beachten …“

Was passiert nach der Veröffentlichung dieser aufsehenerregenden neuen Mails? Ganz Deutschland geht in Sack und Asche. Wir im Südwesten sind glänzend rehabilitiert. Die CDU Baden-Württemberg stellt endgültig jede Gewissenserforschung ein und setzt damit das donnernde Schweigen der Delegierten auf ihrem jüngsten Parteitag in Karlsruhe fort. Wir sind, was wir schon lange ahnten, wieder mal Opfer einer politisch gesteuerten, medialen Verschwörung geworden.

Vor allem aber: die Bundestagswahl 2013 kann kommen. Sie findet uns, politisch wie moralisch, bestens gerüstet. Also, Morgan Stanley, übernehmen Sie! Das wird in dem Beraterhonorar, das Sie kassiert haben, ja wohl noch drin sein.

Es war, wie Sie wissen, sehr üppig.

Manfred Zach war Regierungssprecher unter Lothar Späth und ist unter anderem Verfasser des Politklassikers „Monrepos oder die Kälte der Macht“, der in diesem Frühjahr neu aufgelegt worden ist.