Ein Déjà-vu in London

Die neue Anschlagserie löst in der Londoner U-Bahn Panik aus. Der Verletzte könnte einer der Attentäter sein

Die Menschen versuchen, so schnell wie möglich aus den Stationen zu kommen. Dabei werden einige niedergerannt

AUS LONDON RALF SOTSCHECK

London kommt nicht zur Ruhe. Genau zwei Wochen nach den Anschlägen, bei denen am 7. Juli 56 Menschen starben, wurden gestern Mittag erneut vier Anschläge auf drei U-Bahnen und einen Bus verübt. Im Gegensatz zur ersten Anschlagwelle gab es gestern aber nur einen Verletzten, und der Sachschaden ist gering. Bei dem Verletzten soll es sich Gerüchten zufolge um einen der Attentäter handeln. Die Polizei äußerte sich dazu aber nicht.

Die Bahnhöfe Oval, Warren Street und Shepherd’s Bush sowie ein Bus der Linie 26 an der Kreuzung Hackney Road und Columbia Road in Ost-London wurden evakuiert und die Gegend um die vier Orte weiträumig abgesperrt. Die Anschläge stürzten London zum Berufsverkehr am Abend ins Chaos, da vier U-Bahn-Linien unterbrochen waren. Darüber hinaus fuhren auch keine Züge vom Bahnhof St. Pancras in Richtung Norden und zum Flughafen Luton, weil im Bahnhof St. Alban in Hertfortshire ein verdächtiges Paket gefunden wurde.

Die neuerlichen Anschläge lösten Panik in den U-Bahnen aus. Da die drei Züge nicht beschädigt wurden, konnten sie bis zu den nächsten Bahnhöfen weiterfahren. Dort versuchten die Passagiere, so schnell wie möglich aus den Bahnhöfen herauszukommen. Dabei wurden einige niedergerannt, viele verloren ihre Schuhe oder Taschen, was die Situation verschlimmerte, weil die Polizei die zurückgelassenen Taschen mit Bombenspürhunden untersuchen musste.

Offenbar waren in Oval und Warren Street sowie in dem Bus lediglich die Zünder explodiert. In Shepherd’s Bush wurde ein Rucksack mit einer nicht explodierten Bombe gefunden. Es ist nicht klar, ob London aufgrund eines technischen Versagens der Bomben Glück gehabt hat, oder ob die Täter einen Massenmord geplant hatten. Polizeichef Ian Blair sagte allerdings, es muss die Absicht der Täter gewesen sein zu töten. Man habe „nicht explodiertes Material“ sichergestellt. Ob es sich dabei um Nagelbomben handelte, wie zunächst berichtet wurde, wollte Blair weder bestätigen noch dementieren.

Am Bahnhof Oval sagte eine Passagierin, dass ein Mann den U-Bahn-Waggon betreten und eine Tasche abgestellt habe. Danach sei er weggelaufen. Kurz darauf gab es einen Knall „wie von einem Sektkorken“ in der Tasche, und es breitete sich der Geruch von verbranntem Gummi aus. Viele Passagiere begannen zu schreien und versuchten, durch die schmale Tür in den nächsten Waggon zu gelangen. Auch in dem Bus hat es eine Detonation gegeben, durch die eine Scheibe zerstört wurde.

Ein italienischer Augenzeuge in der U-Bahn bei Warren Street sagte, er habe einen Mann mit einem Rucksack gesehen. Plötzlich habe es in dem Rucksack eine leichte Explosion gegeben, und der Mann habe etwas gerufen, das darauf schließen ließ, dass etwas schief gegangen sei. Der pensionierte Polizist Ivan McCracken war ebenfalls im Zug nach Warren Street, als er einen Knall hörte. „Der Zug war fast im Bahnhof, als die Verbindungstür zu unserem Waggon aufgerissen wurde und Dutzende Fahrgäste in Panik hereingerannt kamen“, sagte er. Eine andere Augenzeugin sah einen Mann weglaufen, er wurde von mehreren U-Bahn-Passagieren gejagt, konnte jedoch entkommen. Er floh zum nahen University College Hospital, das von der Polizei abgesperrt wurde. Kurz darauf stürmte eine schwer bewaffnete Polizeieinheit in den Park des Krankenhauses, konnten den Mann jedoch nicht stellen.

Am Nachmittag wurden zwei Männer im Regierungsviertel ganz in der Nähe des Amtssitzes von Tony Blair festgenommen. Polizeichef Blair sagte jedoch am Abend, die Festnahmen hätten nichts mit den Anschlägen zu tun.

„Ich will die Zwischenfälle nicht herunterspielen, sie sind schwer wiegend“, sagte Tony Blair. „Wir wissen, warum so etwas getan wird: Dadurch sollen Angst und Schrecken verbreitet werden.“ Am besten könne man darauf reagieren, indem man so schnell wie möglich zum normalen Leben zurückkehre, sagte Blair. Er hatte zunächst alle Termine abgesagt, nahm dann aber doch am anberaumten Treffen mit Vertretern der Geheimdienste teil, bei dem es um Strategien im Kampf gegen den Terror ging. Pauline Neville-Jones, die frühere Vorsitzende des Geheimdienst-Ausschusses, sagte, man müsse untersuchen, wohin die Spuren der Attentäter führen. Es scheine, so fügte sie hinzu, dass es Pakistan sei.

Ursprünglich hatte die Polizei befürchtet, dass es sich um Anschläge mit chemischen oder biologischen Waffen handelte. Die Londoner Transportpolizei verfügt über eine Reihe von Fahrzeugen, die mit hoch empfindlichen Detektoren ausgerüstet sind. Mehrere Männer in Schutzanzügen untersuchten die drei Bahnhöfe, konnten am Nachmittag jedoch Entwarnung geben.

Wer hinter den Anschlägen steckt, ist bisher unklar. Ian Blair sagte, die Anschläge seien nach demselben Muster wie am 7. Juli erfolgt, aber man müsse Geduld haben, bis man Genaueres wisse. Er erhofft sich von der forensischen Untersuchung der Bomben einen schnellen Durchbruch bei den Ermittlungen.