Hallo, Guido!
Hallo, Sascha!

SCHWARZ-GELB Was der Erfolg der Liberalen über unsere Gesellschaft sagt
DER DISSENS Viele Jugendliche wählen Westerwelle-FDP, aber nicht Arbeiterklassen-Lafontaine

Volkswagen ersetzt Porsche, Westerwelle ersetzt Genscher, und der HSV bleibt Tabellenführer

Die Wahl werde zwischen FDP und Grünen entschieden – nicht wenige dachten dies die letzten Wochen, doch es kam jetzt deutlich anders. Die SPD hat massiv ans Lager der Nichtwähler verloren, Resultat der parteiinternen Opposition gegen die Agenda 2010. Die Grünen gewannen zwar hinzu, ebenso wie die Linke, doch beide konnten die Verluste der Sozialdemokraten nicht kompensieren. Schwarz-Gelb gewann so stark, weil die enttäuschten SPD-Wähler in Millionenstärke zu Hause blieben.

Das populistische SPD-Bashing der Genossen Gysi und Lafontaine dürfte nun seinen numerischen Höhepunkt überschritten haben. Es fügte der SPD schwere Verluste zu, ohne dass die Stimmen deswegen mehrheitlich zur Linken gewandert wären. Stattdessen verunmöglicht es im Bund die Entwicklung einer rot-rot-grünen Option und einer eigenen programmatischen Vision. Schädlich für linke Mehrheiten sind die vor allem von der Linkspartei praktizierten populistischen Rituale der Abgrenzung von konsensualer parlamentarischer Politik. Ebenso linksideologische Phrasen über ein schwarz-gelbes Schreckgespenst. Gerade auch bei den Jungwählern ist die Westerwelle-FDP populär.

Westerwelles Imagestärke hat auch ein Pendant in der linkskulturellen Ideen- und Harmlosigkeit der letzten Jahre. Der allseits bekannte und hässliche Irokese mit Schnauz und Anzug (Sascha Lobo) mag dafür genauso Sinnbild sein wie es die aktivistischen Freunde im Schlauchboot einer Aufführung namens Piratenpartei sind. Westerwelle spricht hingegen viele derjenigen an, die keine Bittsteller, Loser oder Spieler sein wollen und die kein Interesse an Selbstversuchen zeigen. Nicht alle von ihnen stammen von den natürlichen Eliten des Landes ab, auch wenn viele der Jüngeren sich gern einmal zu diesen zählen würden. Darin sind sie Digitalbohemianern wie Sascha Lobo aber gar nicht so unähnlich. Der hat auch kein Problem, seinen Irokesenschnauzbart gleichsam für die SPD oder Mobiltelefonkonzerne einzusetzen und immer schön kräftig dabei zu sein.

Der Schlüssel zum schwarz-gelben Erfolg liegt in der Entpolitisierung der jetzigen Gesellschaft. Die Linke hat kulturell keine spannende Erzählung von einer modernisierten, widersprüchlichen und aufgeklärten Gesellschaft. Aber wo es zum neu-alten Arbeitermuckertum à la Lafontaine wenig Alternativen gibt, bleiben gerade viele der Jüngeren unbeteiligt, flüchten in Digitalesoterik oder machen ihr Kreuzchen eben auch bei den Liberalen.

Lebensweltlich links zu sein ist heute mit Sonnenkollektoren auf dem Dach und Tofu im Kühlregal viel schwieriger. Früher galt mitunter bereits ein Umzug von Westdeutschland nach Berlin und Kreuzberg als individueller Akt der Verweigerung, auch wenn es nur um die Flucht vor der Bundeswehr ging. Die letzten daran anschließenden Debatten (Grundeinkommen, Prekariat, Kreative) implizieren hingegen zumeist kein reales Glücksversprechen und finden in der Breite kaum eine Übersetzung in einen utopischen Lebensalltag.

ANDREAS FANIZADEH

Hallo, HSV!
DER UNTERSCHIED Schluss mit dem Einheitsbrei. Die FDP und die Hoffnung auf das Ende der Langeweile

„Neulich schlief ich ein in meinem Stammlokal, sie ham mich angemalt, ist mir doch scheißegal, doch was da stand, werde ich wohl nie verstehen (…) Porsche, Genscher, hallo, HSV“, sangen die Goldenen Zitronen 1987. Es war das Jahr der Bundestagswahl, Kohl blieb Kanzler, die schwarz-gelbe Koalition konnte weiter regieren, die großen Parteien galten als Verlierer, die kleinen als Gewinner.

Aus dem sedierten Wahlkampf 2009 sind wir nun also aufgewacht und schwarz-gelb angemalt. Merkel bleibt Kanzlerin, eine schwarz-gelbe Koalition wird regieren, die großen Parteien gelten als Verlierer, die kleinen als Gewinner. Volkswagen ersetzt Porsche, Westerwelle ersetzt Genscher und der HSV bleibt Tabellenführer. So viel zu den feststehenden Ergebnissen des Wochenendes. Und? Verstehen wir, was da stand? Ist am Sonntag die Rückkehr zum alten (neoliberalen) Modell gewählt worden?

Nach der Wahl ist vor der Wahl, und so ist es auch mit der Analyse derselben. Keine Talkrunde konnte beantworten, warum ausgerechnet die neoliberale FDP die definitive Krisengewinnlerin ist. Hingegen waren sich die meisten befragten Experten einig darin, dass es die Ununterscheidbarkeit und die Sozialdemokratisierung aller großen Parteien gewesen seien. Die FDP sei doch unverwechselbar in einem Punkt, sie ziehe die individuelle Verantwortung der staatlichen vor.

Ging es also um Unverwechselbarkeit und Unterscheidbarkeit? Wurde die FDP von Menschen gewählt, die ihre Differenz zum politischen Stillstand der großen Koaltion ausdrücken wollten?

Doch was hatte die FDP denn an Unverwechselbarem geboten? Weder einen Werbeslogan wie den von Ford: „Feel the difference“ und schon gar keinen wie den von Barack Obama: „Change“. In der Elefantenrunde raunte Westerwelle Lafontaine gar ins Gesicht, dass er endlich normal werden solle, die FDP sei nicht der Teufel, als den die Linke sie darstelle.

Gab Westerwelle hier schon einen Hinweis darauf, dass auch die FDP trotz allen Getöses, die Steuern zu senken, sich auch sozialdemokratisieren und ununterscheidbar machen wird?

Der ARD-Nachrichtensprecher Thomas Buhrow verwies am Wahlabend stolz auf die mehrfach wiederholte Feststellung, dass der Wähler nicht homogen, sondern vielschichtig sei. Ups, schon wieder Differenz statt Einheitsbrei. Bei früheren Gelegenheiten wäre an dieser Stelle mindestens einmal der Protestwähler ins Spiel gebracht worden. Doch wo war der eigentlich abgeblieben? Der Wahlbeteiligung nach zu urteilen zu Hause.

Keine rechten Parteien sind im Bundestag und das sei viel wert, konstatierte Petra Pau von der Linken. Ja, war denn am Ende der FDP-Wähler der diesjährige Protestwähler?

Was auch immer die nächsten vier Jahre an Differenz und Unterscheidbarkeit bringen werden, der HSV, zuletzt unter der schwarz-gelben Koalition 1983 Meister, hat in dieser Saison beste Voraussetzungen, diesen Titel erneut zu holen. DORIS AKRAP

Das kulturelle Kapital der FDP dürfte höchstens von dem der alten Bush-Regierung unterboten werden

Hallo, Projekt!
ANERKENNUNG Das Verhältnis der FDP zur Kulturszene ist heikel – ob sich die Partei etwas einfallen lässt?

Es gab in den vergangenen Jahren für einen deutschen Künstler kaum etwas Peinlicheres, als von Guido Westerwelle toll gefunden zu werden. Dass er ein Fan und sogar Sammler neuer deutscher Malerei ist, lässt der FDP-Vorsitzende und Bald-Außenminister hin und wieder ganz gern durchblicken. Bei den von Westerwelle favorisierten Malern wie Norbert Bisky führt das dann aber regelmäßig zu Rechtfertigungsstress.

Dass man sich die Käufer seiner Werke nicht selbst aussuchen kann – schon klar! Aber auf nichts kann sich die avancierte Kulturszene so schnell einigen wie auf Neoliberalismuskritik. Das kulturelle Kapital der FDP in den Clubs, Galerien und Theaterkantinen dürfte höchstens noch von dem der alten Bush-Regierung unterboten werden. Da macht es auch nichts, dass viele Kulturschaffende hierzulande längst selbst ziemlich neoliberal leben: als Unternehmer ihrer selbst, im Falle des künstlerischen Scheiterns höchstens mit einem Call-Center-Job oder gar nur Hartz IV als Absicherung, falls kein elterliches Vermögen im Hintergrund ist. Man möchte eben nicht auch noch so freigesetzt leben wollen müssen, wie man tatsächlich lebt.

Da nützt es für die FDP auch nichts, dass sie in der Kulturpolitik ganz rührig mitmischt. „Im Mittelpunkt liberaler Kulturpolitik“, so kann man in den von der Partei herausgegebenen Papieren lesen, „steht der Bürger als Kulturschaffender, Kulturnutzer und Kulturförderer.“ Aber zugleich soll auch von der FDP der Staat nicht aus seiner Verantwortung für die Kultur entlassen werden. Ausdrücklich als „bedeutende Aufgaben des Bundes“ werden die Auswärtige Kulturförderung, Kulturförderung in der Hauptstadt, Förderung von national bedeutsamen Einrichtungen sowie Gedenkstätten genannt. Man kann in den Parteipapieren alles finden: von der Berufung auf christlich-abendländische Wurzeln bis hin zum Bekenntnis zu Provokationen in der Kunst, vom Setzen auf Kreativwirtschaft bis hin zum Aufzählen der Vorteile kultureller Bildung. Unscharf ist dieses kulturpolitische Programm, aber das ist es eigentlich bei allen Parteien. Und so ist es wahrscheinlich, dass sich in der Kulturpolitik auch unter der neuen Regierung eher wenig ändern wird.

Es sei denn, Schwarz-Gelb soll mit den überhöhenden Weihen eines „Projekts“ versehen werden, so wie Rot-Grün das auch mal gewesen ist. So wenig man der nüchternen Merkel so etwas zutraut, bei Westerwelle möchte man es im Überschwang seines Erfolgs keineswegs von vornherein ausschließen. Dann müssten Symbolpolitik und große Erzählungen her, und der FDP-Vorsitzende müsste sich in den Koalitionsverhandlungen einiges mehr einfallen lassen, als auf den kulturpolitischen Mainstream zu setzen, für den schon der gegenwärtige CDU-Kulturstaatsminister Bernd Neumann steht. Neumann hat zuletzt von der „ganz großen Koalition“ in der Kulturpolitik geredet. Mal sehen, ob Westerwelle dem Affen Zucker gibt und den Ehrgeiz entwickelt, sie aufzubrechen. Viel Anerkennung zu verlieren hat er in der gegenwärtigen Kulturszene eh nicht. DIRK KNIPPHALS