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Archiv-Artikel

Billige Milch, teurer Strom

ALLTAG Was der Wahlsieg von Schwarz-Gelb bald für Stromverbraucher, Supertmarktkunden und Bahnfahrer bringen wird

Die Vervierfachung des Kinderfreibetrags bringt das Gemeinwesen an den Rand des Bankrotts

Genfutter und Dickmacher

BERLIN taz | Milch bleibt billig, auf dem Acker wächst Genmais, und Marketingstrategen verführen Kunden zu Kalorienbomben – diese Folgen der Bundestagswahl für den Verbraucher erwarten Umweltschützer und Ernährungsexperten.

„Die deutsche Ampel für Lebensmittel ist tot“, sagt Clara Meynen vom Verbraucherzentrale-Bundesverband. Sie fordert, mit roten, gelben, grünen Punkten klar zu machen, wie gesund Produkte sind. SPD, Grüne, Linke finden die Idee gut, FDP und Union lehnen sie als „Bevormundung“ ab. Heike Moldenhauer vom Umweltverband BUND meint, Schwarz-Gelb werde „in einer der ersten Amtshandlungen“ den derzeit verbotenen Genmais MON 810 wieder zulassen: „Die einzige Kraft in der neuen Regierung, die vor Gentechnik warnt, hat an Gewicht verloren“ – die CSU. Und die FDP fahre „einen aggressiven Pro-Gentechnik-Kurs“.

Das Ressort geht allerdings sicher wieder an die Union. Auch Staatssekretär Gert Lindemann soll bleiben. Der wohl wichtigste Mann im Haus macht sich stark für die konventionelle Agrarindustrie und ist bekannt für seinen Draht zum Bauernverband. Der Lobbyverein sieht in Schwarz-Gelb „die Chance auf eine Politik der Vernunft“. Ulrich Jasper von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft erwartet, dass Biobauern und Gentechnik-Kritiker öfter als bisher auf die Straße gehen werden.HANNA GERSMANN

Mehr Profit

FREIBURG taz | Die Aktien der Energiekonzerne waren gestern an der Börse die großen Wahlgewinner: RWE und Eon standen mit einem Plus von mehr als 3 Prozent zeitweise an der Spitze aller DAX-Unternehmen, die EnBW-Papiere lagen sogar um mehr als 4 Prozent im Plus.

Union und FDP werden die Laufzeiten der Atommeiler wie angekündigt verlängern. Bis zu sieben Reaktoren, die in den kommenden vier Jahren vom Netz gehen sollten, könnten nun weiterlaufen und ihren Betreibern zusätzliche Einnahmen bringen: Die beiden Biblis-Blöcke A und B (RWE), Neckarwestheim I, Philippsburg I (beide EnBW), Brunsbüttel (Vattenfall und Eon), Unterweser und Isar I (beide Eon).

RWE-Chef Jürgen Großmann, dessen Biblis-Blöcke nach bislang geltender Rechtslage unmittelbar vor dem Ende stehen, sagte nach der Wahl: „Ich vertraue darauf, dass Union und FDP die Weichen für eine Laufzeitverlängerung stellen.“

Offen ist bislang jedoch, wie die Laufzeitverlängerung formal angegangen werden soll.

Aus den Fraktionen von CDU und FDP war gestern zu hören, man werde ähnlich wie beim Ausstiegsgesetz auch bei der Laufzeitverlängerung eine Konsenslösung mit den Akteuren der Branche suchen. Dies würde bedeuten, dass auch Firmen, die wegen des Atomausstiegs in Kohle oder erneuerbare Energien investiert haben, in die Gespräche eingebunden werden müssten. Auch mit anderem Widerstand ist zu rechnen. Die Anti-Atom-Bewegung rechnet mit neuem Schub. BERNWARD JANZING

Bahnverkauf hintenrum

BERLIN taz | Die Finanzkrise hat Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn in letzter Minute gestoppt: Vor einem Jahr legte die Bundesregierung den Börsengang der Deutschen Bahn auf Eis, weil die zu erwartenden Einnahmen zu gering ausgefallen wären. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben – zumal CDU und FDP Befürworter der Bahnprivatisierung sind. Beide streben eine Trennung von Netz und Betrieb an: Die Schienen und Bahnhöfe sollen in Bundesbesitz bleiben, die Bahn selbst soll (teil)privatisiert und einem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt werden. Um diesen anzukurbeln, wollen beide Parteien die Kompetenzen der Bundesnetzagentur erweitern.

Da der Verkauf der Bahn in der Bevölkerung auf große Ablehnung stößt, rechnen Bahnkritiker nun mit einer möglichst lautlosen Privatisierung durch die Hintertür. „Wir befürchten, dass die schwarz-gelbe Regierung rasch Fakten in Richtung Privatisierung schafft“, sagt Carl Waßmuth von der Aktionsgruppe „Bahn für alle“. Instrument dafür sei ein Verkauf eines kleinen Aktienpakets, etwa an die russische Staatsbahn, oder auch ein Aktientausch. Mit dem Einstieg eines privaten Investors sei die Bahn dann nicht mehr einer demokratischen Kontrolle unterworfen. Einen Börsengang werde es vermutlich nicht geben. „Das gibt die Stimmung an den Börsen und in der Bevölkerung im Moment nicht her.“ ROT

Steuersenkungen sind nicht möglich

DEFIZIT Union und FDP wollen die Einkommensteuer senken. Doch dafür lässt ihnen der Bundeshaushalt eigentlich keinen Spielraum

VON HANNES KOCH

Bei Licht betrachtet, haben Union und FDP ein unmögliches Programm. Es will so gar nicht zu der ökonomischen Lage passen, in der Deutschland und die Welt stecken. Eigentlich gehört die kommende Regierung in eine Zeit des Aufschwungs, nicht aber in die gegenwärtige Krisenperiode. Was ihre Vorstellungen zu Steuern und Finanzen betrifft, ist die neue Koalition aus der Zeit gefallen.

Denn Union und FDP ignorieren schlicht ein paar aktuelle Fakten und Trends, die sie natürlich kennen. Ihr Wunsch nach umfangreichen Steuersenkungen steht in scharfem Gegensatz zur Realität. 2010, im ersten Jahr der neuen Regierung, werden Bund, Länder und Gemeinden vermutlich zusätzliche Schulden in Höhe von rund 133 Milliarden Euro aufnehmen müssen. Den ursprünglichen Plan, im kommenden Jahr ohne neue Kredite auszukommen, hat die Finanzkrise hinweggefegt.

Problem Schuldenbremse

Die Einnahmen sinken drastisch, weil die Unternehmen weniger produzieren und viele Beschäftigte arbeitslos werden. Die Ausgaben steigen dagegen an, weil die große Koalition Milliarden in Bankenrettung und Konjunkturprogramm investiert hat. Erschwerend kommt die Schuldenbremse hinzu: Quasi als Wiedergutmachung für die höchste Verschuldung seit Bestehen der Bundesrepublik haben Union und SPD beschlossen, dass der Staat bald so gut wie keine neuen Kredite mehr aufnehmen darf – ein gerade vor dem Hintergrund der Krise unglaubliches Versprechen.

Die Lage wird dadurch noch vertrackter, dass auch die Sozialversicherungen 2010 deutlich ins Minus rutschen. Für die Krankenversicherung erwartet das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) rote Zahlen in Höhe von gut 10 Milliarden Euro. Bei der Bundesagentur für Arbeit, die die Erwerbslosen finanziert, wird das Defizit auf knapp 20 Milliarden wachsen. Wer zahlt in diesen Fällen? Auch der Bund.

Defizit verdoppeln

So gesehen machen die Programme von FDP und Union einen sehr lustigen Eindruck. Würden die Steuersenkungen umgesetzt, die die Liberalen versprechen, würde dies etwa 80 Milliarden Euro jährlich kosten, hat das RWI errechnet. Zusätzlich zum Rekorddefizit. Die Liberalen schafften es, das Loch im Bundeshaushalt fast zu verdoppeln. Da nehmen sich die Unions-Forderungen noch bescheiden aus. Sie würden nur ca. 40 Milliarden Euro jährlich verschlingen.

Wie schafft man es, solche Summen zu ersinnen? Kein Problem für die FDP, die beispielsweise mal eben den Kinderfreibetrag in der Einkommensteuer von heute 1.932 Euro auf 8.004 Euro jährlich anheben will. Diese Vervierfachung dürfte die steuerzahlenden Eltern freuen, bringt aber das Gemeinwesen an den Rand des Bankrotts. Wovon sollen die Bildungsminister der Länder dann die neuen Gemeinschaftsschulen bezahlen, die man allerorten wünscht? Vielleicht gehen die Kinder zur Privatschule, die sich die Eltern dank der Steuersenkung dann leisten können.

Und so geht der Reigen munter weiter: Der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer soll mit der FDP auf 35 Prozent sinken (heute 42 Prozent). Die Erbschaftsteuer und die Unternehmensteuer sind natürlich auch zu hoch. Einiges davon könnte die neue Regierungskoalition umsetzen – wenngleich sich Kanzlerin Angela Merkel am Montag nach der Wahl abermals nicht festlegen wollte, wann der rechte Zeitpunkt innerhalb der nächsten vier Jahre gekommen sei.

Steuersenkungen können eine gute Sache sein – unter zwei Voraussetzungen. Erstens: Die öffentlichen Aufgaben, die jeder so gern in Anspruch nimmt, sollten annähernd aus den Einnahmen des Staates finanzierbar sein. Zweitens: Die Steuern müssen sozial ausgewogen entsprechend der Leistungskraft erhoben werden.

Beide Voraussetzungen sind augenblicklich nicht erfüllt. Gerade am zweiten Punkt setzt sich international mittlerweile ein deutlicher Trend durch. Mehrere Länder, darunter die USA, Großbritannien und Japan, praktizieren oder planen Steuererhöhungen gerade für die wohlhabenden und reichen Bevölkerungsschichten. Die Begründung ist so schlicht wie plausibel. Von den wirtschaftsfreundlichen Reformen der letzten Jahre haben die gut verdienenden Bevölkerungsschichten überproportional profitiert, nun sollen sie ihren Beitrag leisten, um die Schäden der Krise zu finanzieren.

Keine Vermögensteuer

Deshalb wäre es nun Zeit, auch in Deutschland den neuen Akzent einer fairen Steuerpolitik zu setzen. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer gehört nicht dazu – belastet sie doch vor allem die Geringverdiener. Dagegen hat Deutschland bei den Abgaben auf Gewinn und Kapital deutlichen Nachholbedarf. In diesem Sinne hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) unlängst vorgeschlagen, die Steuern auf Vermögen, Grundbesitz und Erbschaften auf europäisches Durchschnittsniveau anzuheben. So könnte die neue Bundesregierung rund 25 Milliarden Euro Mehreinnahmen pro Jahr verbuchen. Doch dazu dürfte es kaum kommen. Den weitreichenden Steuersenkungswünschen von Schwarz-Gelb läuft solch eine Reglung fundamental zuwider.