piwik no script img

Archiv-Artikel

Geistige Bastion des Nationalismus

Nur zu gern wüsste man, „Wie der Dschihad nach Europa kam“. Jürgen Elsässer verspricht, es am Beispiel Balkan zu erklären. Sein Buch ist jedoch ein ideologisch fragwürdiges Machwerk

Politische Extremisten, religiöse Fanatiker und zwielichtige Geheimagenten aus aller Welt haben auf dem Balkan in den Neunzigerjahren eine zerstörerische Rolle gespielt. Sie schürten nicht nur vorhandene Konflikte, sondern schufen auch neue.

Norbert Mappes-Niediek beschäftigt sich in „Balkan-Mafia“ mit der organisierten Kriminalität. Den Einfluss von Geheimdiensten und islamistischen Gotteskriegern zu beschreiben, ist eine mindestens genauso wichtige Aufgabe. Nur: Jürgen Elsässer stellt sich ihr nicht, obwohl der Titel „Wie der Dschihad nach Europa kam. Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan“ genau das verspricht.

Elsässer suggeriert, hier würde beschrieben, wie muslimische heilige Krieger „von den westlichen Staaten unterstützt“ Brückenköpfe in Bosnien, dem Kosovo und Albanien errichten konnten, von denen aus „eine direkte Spur“ zu den Anschlägen des 9. September 2001 führe. Doch statt diese These auf den folgenden über 200 Seiten zu untermauern, erschlägt Elsässer seine Leser meist mit Geschichten und Geschichtchen – aus teils befremdlichen Quellen.

Neben seriösen Veröffentlichungen des UN-Kriegsverbrechertribunals beruft er sich auf Texte aus dem Belgrader Verlagshaus Politika, einer der medialen Hauptstützen des Milošević-Regimes. Hinzu kommen die offiziellen US-Berichte zum 11. September 2001, das Spiegel-Buch zum Thema, die eher unkonventionellen Werke von Mathias Bröckers oder Andreas von Bülow und höchst unterschiedliche Interviewpartner.

Wozu das gut ist? Seine Metathese enthüllt Elsässer erst im Nachwort: Die russische Niederlage im Afghanistankrieg der Achtzigerjahre, die Verhinderung einer serbischen Totaleroberung Bosniens, der Sieg der albanischen Kosovo-Befreiungsfront UÇK und der tschetschenische Terrorismus sind Folgen eines informellen Bündnisses der USA mit dem militanten Islam. „Leidtragende“ dieser „westlich-islamischen Waffenbrüderschaft“ sind die slawisch-orthodoxen Völker Ost- und Südosteuropas.

Bei Elsässer ist Geschichte ganz offenbar einzig die Geschichte der Nationen – menschlicher Großgruppen, die über Jahrhunderte und alle sozialen Veränderungen hinweg durchgehend eine homogene Identität wahren. Daneben erlaubt der Autor allenfalls noch Religion als sozialen Bindungsfaktor. Und gelegentlich tauchen auch mal charismatische Führer auf. Fällt schon mal ein in der modernen Sozialwissenschaft gebräuchlicher Begriff, dann riecht er nach Marxismus-Leninismus – etwa, wenn es sich bei den fünf Jahrhunderten des Osmanischen Reiches auf dem Balkan im Kern weniger um eine Fremd- als um eine Klassenherrschaft gehandelt haben soll, da die lokalen Verwaltungseliten zum Islam konvertierte Slawen waren.

Unfassbar wird es, wenn Elsässer schreibt: „Was im Westen heute als ‚muslimisches Volk‘ auf dem Balkan bezeichnet wird, ist nichts anderes als die slawisch-orthodoxe Oberschicht der Region, die unter dem Druck der Eroberer den islamischen Glauben annahm“, um „im Dienst der neuen Macht die unteren Klassen sogar noch besser schinden“ zu können als vorher.

Angesichts dieser Grundhaltung kann es nicht verwundern, dass der Autor nicht erkennt, was auf dem Balkan wirklich passiert: eine schleichende Re-Islamisierung säkularer Gesellschaften wie der bosnisch-muslimischen und der kosovoalbanischen. Verantwortlich dafür sind die katastrophalen sozialen Verhältnisse in Exjugoslawien. Doch das kommt bestenfalls in den reportageartigen Teilen des Buches vor.

Auch die unschlüssige westliche Politik während der Balkankriege, die diese Entwicklung verursacht hat und von dem Belgrader Publizisten Miloš Vasić richtig als „Mischung aus Dilettantismus und Boshaftigkeit“ bezeichnet wird, taucht nicht auf. Stattdessen mokiert sich Elsässer darüber, dass Europa und die USA zulassen, „dass Kosovo und Westmakedonien, wo sich mit die ältesten christlichen Kulturdenkmäler und Kirchen des Kontinents befinden, von islamischen Terroristen ethnisch gesäubert werden“.

„Wie der Dschihad nach Europa kam“ ist nichts anderes als ein Versuch, die alte slawisch-nationalistische These zu unterfüttern, dass die Muslime auf dem Balkan nicht anderes als turkisierte Slawen sind – Verräter am Christentum und an der nationalen slawischen Sache. So argumentieren Leute, die im Serbien Slobodan Milošević’ eine Bastion des Sozialismus und im Isolationismus der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei die balkanische Variante der Globalisierungskritik sehen. Wer hingegen etwas über die Rolle islamistischer Gotteskrieger und zwielichtiger Geheimagenten auf dem Balkan erfahren will, sucht in Jürgen Elsässers Buch vergebens. RÜDIGER ROSSIG

Jürgen Elsässer: „Wie der Dschihad nach Europa kam. Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan“. NP Buchverlag, St. Pölten 2005, 248 Seiten, 19,90 Euro