Die Tricks des Patriarchen

Wie das Oberhaupt der orthodoxen Christen von Jerusalem mit unorthodoxen Methoden seine Macht sichern wollte – und aufflog

VON NIELS KADRITZE UND SUSANNE KNAUL

Es war wie jedes Jahr und doch ganz anders. Am Sonnabend des orthodoxen Osterfestes ereignet sich in der Grabeskirche zu Jerusalem alljährlich ein angekündigtes Wunder. Zur Mittagszeit entsteht in der innersten Kammer, die nur der Patriarch von Jerusalem betreten darf, eine Flamme aus dem Nichts. Dieses Licht gibt das Oberhaupt der orthodoxen Christen des Heiligen Landes um Mitternacht an die Gläubigen weiter, die aus aller Welt zum Osterfest nach Jerusalem pilgern.

Also geschah es auch am 30. April dieses Jahres. Doch für den Patriarchen Irenäus war es das letzte Mal, dass er das notorische Wunder inszenieren durfte. Als er in der Osternacht durch die Gassen von Jerusalem schritt, wurde er von Gläubigen palästinensischer Nationalität als Verräter beschimpft. Vor derberen Übergriffen beschützte ihn eine israelische Sicherheitstruppe. Kurz darauf wurde der Grieche Irenäus von derselben Synode, die ihn 2001 zum Patriarchen gewählt hatte, mit großer Mehrheit für abgesetzt erklärt.

Den Grund für den Tumult und den Sturz des Kirchenfürsten kann am besten der Archimandrit Theodosios erklären. Der ranghöchste Palästinenser innerhalb der orthodoxen Hierarchie, der mit bürgerlichem Namen Dr. Attala Hanna heißt, hat sein Büro in einem Gebäude, das im Mittelpunkt des Kirchenskandals steht. Das ehrwürdige, aber leicht heruntergekommene Hotel New Imperial liegt in der Nähe des Jaffa-Tors. Es gehört, wie das benachbarte Hotel Petra, zum Immobilienschatz der orthodoxen Kirche, die 22 Prozent aller Gebäude und Grundstücke in der Altstadt von Jerusalem besitzt. Im August 2004 wurden beide Hotels an eine jüdische Siedlergruppe verpachtet. Der Pachtvertrag soll über 200 Jahre laufen. Das käme einem Verkauf ziemlich nahe, der aber in Jerusalem nicht möglich ist, wo noch das Rechtssystem der britischen Mandatszeit gilt.

Jede Transaktion von Immobilien in der arabisch geprägten Altstadt von Jerusalem ist ein Politikum. Für den Palästinenser Theodosios war dieser Pachtvertrag „eine Katastrophe“. Für ihn hat Irenäus „wie Judas gehandelt, der Jesus für 40 Silbertaler verriet“. Die Modalitäten der Verpachtung sind freilich umstritten. Irenäus behauptet, er habe von nichts gewusst, den Deal habe sein Finanzmanager Nikos Papadimas hinter seinem Rücken ausgehandelt. Doch diese Verteidigungslinie ist dünn wie Papier, schließlich hatte der Patriarch seinem engsten Mitarbeiter eine Generalvollmacht ausgestellt.

Die beiden Hotels sind nur die spektakulärsten Geschäfte, die das Patriarchat in den letzten Jahren getätigt hat. Unter Irenäus und seinem Vorgänger Diodoros wurden etwa 60 Immobilien in der Altstadt von Jerusalem verpachtet, zumeist an jüdische Interessenten. Doch die beiden Hotels sind „strategische“ Objekte der besonderen Art. Das zeigt ein Faktum, das die Athener Zeitung Kathimerini enthüllte: Der Vertrag enthält die Klausel, dass er 20 Jahre lang geheim bleiben muss – auch gegenüber den israelischen Steuerbehörden.

Solche Klauseln haben die israelischen Sicherheitsdienste schon bei früheren Pachtverträgen durchgesetzt, etwa im Fall von Ländereien in der Gegend des Jebel Abu Ghneim. Die wurden an eine israelische Investmentfirma abgetreten, die darauf die jüdische Siedlung Har Choma zwischen Ostjerusalem und Bethlehem errichtete. Auch der Checkpoint der israelische Armee vor Bethlehem liegt auf dem Boden der orthodoxen Kirche. Solche Transaktionen hätte ein palästinensischer Patriarch nie zugelassen.

Aber warum ist der Patriarch von Jerusalem überhaupt ein Grieche? Da er für die orthodoxen Gemeinden in Israel und dem Palästinensergebiet, aber auch in Jordanien, Saudi-Arabien und den Golfstaaten zuständig ist, sind von den 450.000 Gläubigen 90 Prozent Araber, die Hälfte von ihnen Palästinenser. Dass der griechische Klerus sich diesen lukrativen Erbhof bis heute erhalten konnte, ist ein Anachronismus, der die aktuelle Krise entscheidend mitbestimmt.

Die Rolle des Patriarchen erfordert in der Tat diplomatische Fähigkeiten. Jerusalem ist der komplizierteste Ort der Welt. Die faktische Hauptstadt Israels ist in den Träumen der Palästinenser auch als Hauptstadt ihres künftigen Staates ausersehen, während der aktuelle völkerrechtliche Status auch den Jordaniern noch gewisse Kompetenzen belässt. So kann Amman dem orthodoxen Patriarchen die Anerkennung gewähren oder vorenthalten – ein Recht, das auch der israelischen Regierung und der Palästinensischen Autonomiebehörde zusteht.

Die konkurrierenden politischen Interessen, die im Skandal um Irenäus mitspielen, entsprechen also den Konfliktlinien, die das Nahostproblem insgesamt determinieren. Dabei geht es vor allem um Grundbesitz. Der orthodoxen Kirche gehören auch in Westjerusalem etliche Filetgrundstücke. Zum Beispiel die Flächen, auf denen das Israelische Museum und die Große Synagoge stehen, die Knesset, der Amtssitz des Staatspräsidenten, mehrere Ministerien und viele militärische Einrichtungen. All diese Grundstücke sind langfristig an den israelischen Staat verpachtet. Die Summe von 7 Milliarden Dollar, die der gesamte Besitz nach Schätzungen der israelischen Zeitung Ma’ariv wert sein soll, steht jedoch nur auf dem Papier, da die Grundstücke nicht verkauft werden können.

Doch das Patriarchat kann jederzeit wertvolle Objekte in der Türkei, in Griechenland und in Zypern veräußern. In Zypern sitzt auch die Finanzverwaltung des Patriarchats, eine Offshore-Firma mit dem vielsagenden Namen „Chrysoforos Holdings“ (goldhaltige Besitzungen). Über zypriotische Konten wurden auch die meisten Immobiliengeschäfte unter den Patriarchen Diodoros und Irenäus abgewickelt.

Dieser Schatz zieht allerlei verdächtige Gestalten an. Am Hof des gescheiterten Irenäus spielten zwei Figuren eine besondere Rolle. Zum einen der Grieche Nikos Papadimas, den Irenäus zu seinem Finanzmanager machte, obwohl er keinerlei betriebswirtschaftliche Kenntnisse mitbrachte. Der Mann, der die Hotel-Transaktionen vollzog, ist freilich seit November 2004 wie vom Erdboden verschwunden, und mit ihm verschwanden mindestens 600.000 Dollar aus der Kasse des Patriarchats.

Interessanter als der Betrüger Papadimas ist die zweite Figur, die auch die griechische Öffentlichkeit beschäftigt. Apostolos Vavilis wurde 2001 von der orthodoxen Kirche Griechenlands nach Jerusalem geschickt, als Wahlhelfer für den Kandidaten Irenäus, dem man den Patriarchenthron sichern wollte. Auch Vavilis agierte nach dem Motto, dass der Zweck die Mittel heiligt. Er produzierte gefälschte Sexfotos, die den gefährlichsten Gegenkandidaten aus dem Rennen warfen. Nachdem Irenäus von der Synode gewählt worden war, machte er Vavilis zu seinem Sicherheits- und PR-Berater. Dessen wichtigste Aufgabe bestand darin, die Anerkennung des Patriarchen durch Israel zu sichern. Doch die Regierung Scharon ließ sich fast zwei Jahre Zeit. Anfänglich warf sie dem neuen Patriarchen vor, zu „palästinenserfreundlich“ zu sein. Damit war Irenäus gezwungen, seine „Neutralität“ zu beweisen – etwa durch die Verpachtung strategischer Immobilien.

Für dieses Kalkül spricht die Tatsache, dass die Anerkennung durch die israelische Regierung erst erfolgte, als Irenäus den israelischen Anwalt Gilead Scher zum Bevollmächtigten für die Geschäfte des Patriarchats ernannt hatte. Dieser Anwalt, vormals enger Mitarbeiter von Ministerpräsident Barak, aber auch mit Ariel Scharon befreundet, wurde ein Jahr später wegen Überschreitung seiner Vollmachten durch den Griechen Papadimas ersetzt.

Welche Rolle Vavilis bei den Kontakten zwischen Irenäus und der Regierung Scharon gespielt hat, könnte sich klären, wenn er in Griechenland vor Gericht stehen wird. Dazu müsste er von den italienischen Behörden ausgeliefert werden, die den flüchtigen Vavilis am 22. April in Bologna verhaftet haben. Bis es so weit ist, wird in Athen heftig spekuliert, für wie viele Herren und Agenturen der agile Grieche gearbeitet hat. Fest steht, dass er von der griechischen Polizei als Undercover-Agent gegen Drogenhändler eingesetzt wurde, obwohl er auf der Interpol-Fahndungsliste stand und als Repräsentant eines israelischen Waffenproduzenten Pistolen an die griechische Polizei verkaufen konnte. Als Wahlhelfer des Patriarchen von Jerusalem agierte er unter falschem Namen, aber mit einem echten Pass, ausgestellt von der Athener Polizei.

Vieles spricht dafür, dass Vavilis nicht nur für die orthodoxe Kirche Griechenlands, sondern auch für den Athener Geheimdienst gearbeitet hat. Auch für Kontakte zum israelischen Mossad gibt es handfeste Anhaltspunkte. So strahlten griechische Fernsehstationen einen Videofilm aus, der Vavilis bei der Schießausbildung durch Mossad-Agenten zeigte. Und Athener Zeitungen berichten, Vavilis habe Irenäus ständig vor einer „Arabisierung“ des Patriarchats gewarnt und ihn gedrängt, palästinensische Kleriker wie Attalah Hanna kaltzustellen.

Heute ist es Irenäus, der kaltgestellt ist. Der Beschluss der Synode des Jerusalemer Patriarchats, Irenäus von seinem Amt zu entbinden, wurde Ende Mai von einer außerordentlichen Versammlung aller orthodoxen Kirchen in Istanbul bestätigt, die der Ökumenische Patriarch Bartholomäus einberufen hatte. Als Irenäus daraufhin seine Gegner aus der Jerusalemer Synode ausschließen wollte, beschloss die Mehrheit seiner Bischöfe am 17. Juni, Irenäus auch die Priesterwürde zu entziehen und ihn zum Mönch zu degradieren. Da ihm die jordanische Regierung den Reisepass entzogen hat, ist der Patriarchensitz zu Jerusalem, den Irenäus noch nicht geräumt hat, faktisch zum Verbannungsort geworden.

Da soll der Expatriarch ruhig sitzen bleiben, meint Attalah Hanna, dann könne man ihn wenigstens in Jerusalem vor Gericht stellen. Über die Chancen, dass der nächste Patriarch ein Araber sein könnte, macht sich der Archimandrit keine Illusionen. Dafür sei es noch zu früh: „Die Besatzungsmacht würde ihn nicht akzeptieren.“ Der nächste Patriarch müsse aber auf jeden Fall ein „Beschützer des besetzten Volkes“ sein. Die Wahl des Nachfolgers wird also nicht einfach. Wie eine Athener Zeitung berichtet, verfügt die Palästinensische Autonomiebehörde über Beweise dafür, dass die Grundstückstransaktionen noch von weiteren Würdenträgern unterschrieben wurden.

Der nächste Patriarch von Jerusalem muss also höchst vielfältige Anforderungen erfüllen: Er ist nicht nur auf die Zustimmung der Regierungen in Jerusalem, Amman und Ramallah und auf das Wohlwollen der Athener Regierung angewiesen, er soll auch noch saubere Hände haben. Würde sich ein solches Wesen finden, wäre das eine größere Überraschung als das pyrotechnische Osterwunder in der Grabeskirche.

NIELS KADRITZKE, 62, ist Redakteur der deutschen Le monde diplomatique. SUSANNE KNAUL, 44, ist Israel-Korrespondentin der taz