: „Doping bleibt ein Problem im Radsport“
Lance Armstrong steht unter Dauerverdacht – doch die Wahrscheinlichkeit, dass er trotz umfangreicher Kontrollen dopt, ist gering. Ausgeschlossen werden kann der Einsatz verbotener Substanzen nicht, dazu sind die Fahrer zu mobil
taz: Herr Schänzer, lediglich zwei Dopingvorfälle gab es bei der diesjährigen Tour de France: Beim Russen Jewgeni Petrow wurde ein überhöhter Hämatokritwert festgestellt, die Ehefrau von Dario Frigo wurde mit verbotenen EPO-Präparaten im Auto erwischt. Alle anderen Fahrer waren sauber?
Wilhelm Schänzer: Die Sportler wissen, dass während eines Rennens umfangreich kontrolliert wird, sowohl Blut- als auch Urinkontrollen durchgeführt werden. Da bleibt inzwischen auch der Prozentsatz der Ertappten gering. Wer noch mit Substanzen arbeitet – in Einzelfällen kann man das nicht ausschließen –, muss sehr risikobereit sein.
Der französische Teamarzt von Gérard Guillaume hat gesagt, dass „Betrüger mehr Chancen hätten durchzukommen, als erwischt zu werden“…
Im Vorfeld der Rennen ist das eher möglich, aber gerade bei der Tour sind die Kontrolleure sehr versiert und gründlich.
Kann man die Kontrolleure austricksen?
Es gibt sicher die Möglichkeit, Urinaustausch zu machen. Das ist aber bei Kontrollen außerhalb des Wettkampfes leichter möglich als direkt nach einem Rennen. Wir versuchen es natürlich über entsprechende analytische Daten der Fahrer abzugleichen. Der Urin der Sportler ist jeweils chemisch individuell zusammengesetzt, darum gibt es Hinweise, ob ein Urinaustausch stattgefunden hat. Es wird dann nach einer halben Stunde eine weitere Probe gefordert, sodass man die Folgekontrollen vergleichen kann.
Es ist also schlauer, nicht während, sondern vor den Rennen zu dopen?
Für effektives EPO-Doping, um also die Sauerstoffaufnahme des Blutes zu erhöhen, braucht man eine Aufbauphase von drei, vier Wochen. Vor den großen Wettkämpfen müssen natürlich unangemeldete Kontrollen erfolgen, was ein Problem ist. Die Fahrer sind sehr mobil und müssen überall geortet werden. Das ist die große Herausforderung. Der internationale Radsportverband macht diese Kontrollen außerhalb des Wettkampfes seit etwa zwei Jahren. Nationale Kontrollagenturen und internationale Verbände müssen eingebunden sein, damit man die Fahrer jederzeit überprüfen kann. Das muss noch verbessert werden. Aber Doping bleibt ein generelles Problem im Sport, auch im Radsport, es wird nicht 100-prozentig auszuschließen sein. Man muss eben eine hohe Abschreckung erreichen.
Lance Armstrong muss sich immer wieder Doping-Vorwürfe anhören. Positiv getestet wurde er aber noch nicht. Also alles Spekulation?
Man muss wissen, dass die Spitzenfahrer ständig in den Kontrollen sind, vor und während der Rennen. Ich weiß nicht genau, ob Herr Armstrong jeden Tag getestet wird, aber er hat eine der höchsten Kontrolldichten. Die Anschuldigungen gegen ihn müssten belegbar sein, bisher konnte man ihm nichts nachweisen. Deshalb muss man seine Leistung als individuelle herausragende Leistung anerkennen, die offenbar nicht durch Doping zustande gekommen ist.
Wie groß ist aber die Wahrscheinlichkeit, dass Armstrong oder andere Fahrer Substanzen benutzen, die noch nicht nachweisbar sind?
Die Wahrscheinlichkeit besteht. Es gibt Doping-Substanzen, die schwierig nachzuweisen sind, Wachstumshormone zum Beispiel. Da haben wir das Problem, dass die Kontrollen hier noch nicht optimal greifen. Wir glauben aber nicht, dass sie so leistungsfördernd sind wie EPO. Die Fahrer können zudem auf Eigenbluttransfusionen zurückgreifen, aber selbst das kann man aufdecken, wie im Fall von Tyler Hamilton. Wenn es wirklich eine Substanz gäbe, die effektiv einsetzbar und nicht nachweisbar wäre, dann dürfte sie nur für einen Fahrer, nämlich Armstrong, in Frage kommen, und die anderen hätten noch nichts davon gehört. Und das ist unwahrscheinlich.
Das allgemeine Misstrauen gegenüber der außerordentlichen Leistungen der Fahrer ist also mittlerweile eigentlich unbegründet?
Ob das Misstrauen unbegründet ist, kann wissenschaftlich nicht bewiesen werden. Negative Kontrollen sind kein endgültiger Beweis, dass ein Sportler nicht gedopt hat. Ich erinnere an den Fall Tetrahydrogestrinon (THG) in Kalifornien. THG, eine Substanz, die uns nicht bekannt war. Ein derartiger Vorfall auch mit unbekannten Substanzen kann sich jederzeit wiederholen und somit grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden.
Wie haben zur Zeit aufgrund der Kontrollen eine hohe Abschreckung. Die Welt-Anti-Doping-Agentur und die Internationalen Sportfachverbände haben den Antidopingkampf intensiviert, das ist ein positives Zeichen. Die Olympischen Spiele von Athen mit 23 positiven Befunden zeigen aber, dass Doping ein Problem bleibt.
INTERVIEW: JUTTA HEESS