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Archiv-Artikel

Zwischen Himmel und Hölle

KIRCHENKUNSTSTREIT Mittelalterliche Madonnen und Kruzifixe zu zeigen kann heikel sein. Zumal im protestantischen Hamburg. Alles kein Problem, sagt Hauptpastor Störmer. Und verteidigt die Ausstellung, die jetzt im dortigen Bucerius Kunst Forum eröffnete

Der lebensgroße hölzerne Christus wurde so aufgehängt, dass man demütig zu ihm aufblicken muss

VON PETRA SCHELLEN

Mittelalterliche Wanderausstellungen sind selten. Das liegt vor allem am hohen restauratorischen Risiko: Die Idee, ein Holzkruzifix von 1150 zu bewegen, lässt jeden Restaurator erbleichen, und aus gutem Grund werden Glasfenster dieser Ära fest in die Museen eingebaut.

Manchmal aber reisen sie doch: Für die Schau „Zwischen Himmel und Hölle“ im Hamburger Bucerius Kunst Forum hat das Freiburger Augustinermuseum etliche mittelalterliche Exponate hergegeben. Deren Haus bleibt wegen Renovierung geschlossen. Zudem hat eine Hamburger Stiftung zwei Restauratoren finanziert. Das hat der Reiseentscheidung aufgeholfen.

Jetzt sind sie da, jene Kruzifixe, Marienskulpturen und Heiligenbilder, die zwischen 1150 und 1540 an Oberrhein und Bodensee entstanden. Kathedralgrau hat das Forum die Wände gestrichen, dabei soll es keine kirchliche Ausstellung sein. Ja, es sei problematisch, im protestantischen Hamburg katholische Kunst zu zeigen, sagt Kurator Michael Philipp. Eine Madonnenskulptur könne etwa Befremden erregen und als „abergläubisches Relikt“ empfunden werden.

Andererseits sei dies „exzellente Kunst, von der sich jeder berühren lassen kann“, sagt Philipp. Er rechtfertigt sich so ausführlich, als habe er von seinen hanseatischen Sponsoren Prügel bezogen. Aber nein, beteuert Philipp, „da war nichts“. Nur die Marketing-Abteilung habe gefragt, wie sie das Thema verkaufen solle. Das hätte sie wohl in jeder Stadt getan, und dass die Ausstellung nicht die 100.000 Besucher der vorangegangenen Hopper-Schau erreichen wird, ist ohnehin klar. Die Schau über den heiligen Antonius etwa hat 2008 rund 49.000 Zuschauer gelockt.

Zahlen, die eine Publikumspräferenz andeuten. Aber ist sie eine hanseatische? Immerhin war Hamburg seit 1529 streng evangelisch-lutherisch. Erst im 19. Jahrhundert wurden die Konfessionen gleichgestellt. Heute sind 40 Prozent der Hamburger Christen, davon zehn Prozent Katholiken. Die fünf Hauptkirchen sind evangelisch. Hindert das die Hamburger, zwischen Kunst und Kult zu trennen? „Alles Unsinn!“ sagt Christoph Störmer, Hauptpastor an der Hamburger Petrikirche. „In allen Hauptkirchen finden sich Madonnen- und Heiligendarstellungen. Die werfen wir doch nicht hinaus!“

Abgesehen davon, sagt Störmer, präsentiere das Bucerius Forum keine explizit katholische Kunst, sondern vorreformatorische – aus der Zeit also, in der es noch keine Protestanten gab. „Soll ich im Nachhinein eine Spaltung vornehmen?“ Nein, sagt er, man könne den Hamburgern diese Schau zumuten.

Deren Titel ist markig: „Zwischen Himmel und Hölle“ lautet er und spielt auf das Lebensgefühl mittelalterlicher Menschen an, die sich zwischen Paradies und Fegefeuer zerrissen fühlten: Eins von beiden dräue auf jeden Fall, hatte der Pfarrer gesagt. Die Drohung wirkte: Sie förderte das Ablassgeschäft und diente der Verstetigung kirchlichen Kultes, war man doch darauf bedacht, Gott milde zu stimmen.

Zum Beispiel durch Osterprozessionen, für die man Requisiten brauchte: jenen lebensgroßen hölzernen Christus samt fahrbarem Esel etwa, der einen im Bucerius Forum empfängt. Ein gelungener Auftakt, der die Sinnlichkeit mittelalterlicher Kunst offenbart. Sie sollte starke Gefühle wecken – etwa angesichts des gekreuzigten Christus. In die Rotunde des Bucerius Forums wurde er so gehängt, dass man demütig zu ihm aufblicken muss. Eine befremdlich sakrale Inszenierung. Um 1350 entstand die ausgemergelte Figur; eine Anspielung auf die Pest, die man als „Gottesstrafe“ verstand. Therapien gab es nicht. Die Kirche empfahl Prozessionen, doch beschleunigten sie die Verbreitung der Krankheit. Christus als Identifikationsfigur der Leidenden hatte Hochkonjunktur.

Für die Hersteller der Christusgerippe indes war es eine Chance für manierierte anatomische Studien. Oder für quasi Surreales: Warum der Heiligenschein der toten Ursula nicht herunterfällt, darf man hier nicht fragen. Auch nicht, warum Maria lauter Winzlinge unter ihrem Gewand birgt. Es ging nicht um die Abbildung der Realität, sondern um Glaubensinhalte. Logisch also: Die Heilige wurde groß darstellt, der weltliche Sünder klein.

Daneben erzählen Bilder, Skulpturen und Fenster vor allem Bibel- und Heiligengeschichten. Letztlich waren es Comics, geschaffen für die rund 90 Prozent Analphabeten des europäischen Mittelalters.

Auch die Scheiben des Freiburger Münsters, vom Renaissance-Künstler Hans Baldung entworfen, funktionieren so. Idealisierte Heilige sind darauf zu sehen – aber irgendwann war der Künstler dessen müde: Auf seinem „Sündenfall“-Holzschnitt von 1514 steht ein sehniger Adam vor einer recht korpulenten Maria. Und seine „Adam und Eva“ sind nicht schön, aber gierig.

Später wechselte Baldung Auftraggeber und Themen: Privatiers waren jetzt seine Kunden, und die wollten pralle antike Mythologie – einen verschlagenen Amor zum Beispiel. Ein Fragment nur, aber ein schöner Abschluss der insgesamt gelungenen Hamburger Schau – zumal dieser Amor manchem Engel verdächtig ähnlich sieht.

bis 10. 1. 2010, Hamburg, Bucerius Kunst Forum