: What a show!
AUS LONDON ANDREAS RÜTTENAUER
Was für eine Party! Punk, Rock, Elektro und bewegliche Dioramen mit Bildern aus der britischen Sozialgeschichte haben nicht nur die 80.000 Zuschauer im Londoner Olympiastadion begeistert. Die Eröffnungsfeier, die Filmregisseur Danny Boyle inszeniert hat, war umwerfend, hat aber auch gezeigt: Sport ist nicht so groß, wie es uns die Macher der Spiele in Peking Spiele vor vier Jahren weismachen wollten. Sport ist wichtig, aber nicht die große Politik. Sport begeistert, Sport ist Pop. Und – auch das wollte Boyle zeigen: Sport ist very british. Es darf sogar gelacht werden.
Ein grünes Eiland, Kühe, Schafe, Bauern, Bäuerinnen und ein paar Menschen, die sich die Zeit zu vertreiben, indem sie sich mit Schlägern Federbälle zuspielen oder versuchen, mit einem Holzprügel einen Ball zu treffen. Es muss paradiesisch gewesen sein im alten Britannien. Doch die Hölle lässt nicht lange auf sich warten und kommt in Gestalt der industriellen Revolution. Die Menschen werden für Kohle und Stahl geknechtet. „Pandemonium“ hat Boyle diesen Teil seiner Show genannt, die Hauptstadt der Hölle. Grau und schwarz ist es im Olympiastadion, bis die fünf Ringe aus Stahl gegossen werden. Dann wird es besser.
Es kommt der Pop, Film und Musik führen das Land zurück ins Paradies. Die Beatles, die Stones, die Sex Pistols und die Arctic Monkeys tragen zur Erlösung vom Bösen bei. Und Rapper Dizzee Rascal verleiht dem Ganzen street credibility. Mit Pop wird alles gut – vielleicht sogar das fast völlig kaputtgesparte englische Gesundheitssystem, dem Boyle eine vielleicht letzte große Würdigung zukommen lässt. Sozialdemokratismus kann Spaß machen! Harry Potter, Mister Bean und James Bond bringen dann das Paradies endgültig zurück. Jetzt darf gespielt werden, olympisch gespielt.
Alles Schwere, das im Protokoll einer olympischen Eröffnungsfeier vorgesehen ist, der Athleteneid, das Hissen der Fahne des Gastgeberlandes, die Hymne der Ausrichternation, die Eröffnungsformel des Staatsoberhaupts, das Hissen der Olympiafahne, das Entzünden des olympischen Feuers, all das, was in Peking noch so schwer gewesen ist, kam am späten Freitagabend, beklatscht von den Athleten im Stadion, zuweilen etwas kitschig, vor allem aber ganz leicht daher.
Als die olympische Fahne auf den letzten Meter von britischen Soldaten getragen wird, denkt keiner daran, dass auch dieses Popspiel in Kriegszeiten stattfindet. Soldaten patroullieren rund um alle Wettkampfstätten. Man vergisst das nur allzu gern an diesem Abend. Danny Boyle hilft dabei.
Das Lächeln lag noch auf den Gesichtern der Menschen, die sich freuen, dass sich die Königin in ihrem Alter nicht nur diese laute Discoparty antut, zu der der Einmarsch der Athleten zur Musik der Elektroband Underworld gerät. Sie sind auch davon begeistert, dass sie in einem Filmchen mitgespielt hat, in dem sie von Daniel Craig, also James Bond mit dem Hubschrauber abgeholt wird und – mutiger als 007 – vor ihm mit dem Fallschirm über dem Stadion abspringt.
Es durfte gelacht werden über die Königin. Die Königin als Mrs Bean – incredible. Und der echte Rowan Atkinson macht mit einer klassischen Mr-Bean-Nummer das riesige Stadion im Osten Londons für ein paar Minuten zur Kleinkunstbühne. Mehr Understatement geht nicht. Und als das Feuer nicht von einem bedeutenden britischen Sportler – es hätte sich sicher einer gefunden –, sondern von sieben Nachwuchssportlern entzündet wird, ist auch dem Letzten klar, was Danny Boyle der Welt mitteilen will: Es ist doch nur Sport!
In dieser Nacht hat er damit viele glücklich gemacht. Die Hymne der Eröffnungsfeier wurde danach in den U-Bahnen gesungen (war auch da von Boyle inszeniert?) Die Hymne war nicht das Lied auf die Queen. Paul McCartney sang zum Abschied live einen alten Beatles-Song. Und noch Stunden später hallte es in der Tube wider: „Laaa laaa lalalalalala, hey Jude“ Noch jemand hier, der Olympia hasst?