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Archiv-Artikel

Balladen vom stabilen Trinker

GOTT IST SCHÖNHEIT Der hierzulande noch unbekannte finnische Regisseur Kristian Smeds kommt zum Nordwind-Festival erstmals ins HAU. Seine Stücke bestechen durch Direktheit, psychologische Tiefe und emotionale Naivität

„Religion interessiert mich nicht, es geht mir um die Erfahrungen einer Seele“

KRISTIAN SMEDS

VON CHRISTIAN RAKOW

In Finnland gibt es eine Kneipenregel: Wer am Ende eines Abends noch allein und aufrechten Gangs zum Tresen kommt, darf weiter trinken. Das führt gelegentlich zu schrägen Bildern, wenn zwei Finnen Schulter an Schulter windschief vorantorkeln, um als menschliches Kantholz ihren nächsten Wodka zu ordern. Kristian Smeds dürfte schon in solchem Duett gesichtet worden sein. Denn „Kristian ist ein stabiler Trinker“, sagt Matthias Lilienthal, der Chef des Hebbel am Ufer.

Eine krude Mischung

Am HAU wissen sie, dass etwas Trommelwirbel nicht schadet, wenn mit Kristian Smeds einer der namhaftesten, doch hierzulande unbekanntesten Regisseure Skandinaviens vorgestellt werden soll. „Smeds ist eine krude Mischung aus Tarkowski und den Leningrad Cowboys“, beschreibt Lilienthal den finnischen Theatermacher. Zwei Werkschau-Tage widmen sich seinen Arbeiten auf dem diesjährigen Nordwind-Festival, das ab heute im HAU stattfindet. Smeds selbst wird anwesend sein.

2007 bei der Erstauflage von Nordwind (damals noch am Ballhaus Ost) feierte die dänisch-österreichische Installations-Gruppe Signa ihren Durchbruch mit der Psychiatriesimulation „Dorine Chaikin Institute“. Ein ähnlich prägnantes Format wird man bei Smeds nicht finden.

Sein Werk wird eher durch seine Persönlichkeit zusammengehalten und durch eine starke Künstlerbehauptung. In einem wuchtigen Monologtext „Gott ist Schönheit“ hat sich Smeds in der Figur des finnischen Malers Vilho Lampi ein komplexes Selbstporträt geschaffen: Gegen alle mittelmäßigen „Feiglinge und Zwerge“ heißt es da mit expressionistischem Zungenschlag: „Wir gehn so weit, bis der Himmel zur Erde wird, und aufgehalten werden wir höchstens vom Tod, sonst von niemandem. Freiheit. Freiheit.“ Smeds hat seine Freiheit in der entlegensten Provinz gesucht, als er 2001, nach ersten Erfolgen in Helsinki, das Stadttheater von Kajaani, 600 km hoch im Norden, übernahm.

Aber Theater hat keinen leichten Stand in einer Gegend mit 17 Prozent Arbeitslosenrate. So vertiefte Smeds seine internationalen Beziehungen. Seit 2005 ist er mit seinem Drei-Personen-Produktionsteam smedsensemble im gesamten baltischen Raum und neuerdings auch in Brüssel aktiv. Eine seiner renommiertesten Arbeiten „Der unbekannte Soldat“ hatte 2007 am Helsinkier Nationaltheater Premiere. Kraftstrotzend, schnaubend, angetrieben von chorischen Männerszenen werden hier Weltkriegsgeschichte und nationales Selbstverständnis der Finnen durch den Fleischwolf gedreht. Im Schlussbild schießen Soldatengruppen auf überlebensgroße Fotos prominenter Finnen. Das ist eine Direktheit wie im Theater Volker Löschs. Am HAU wird das opulente und deshalb für Reisen ungeeignete Werk auf Video gezeigt.

Erbarmen mit einem Pilger

Stiller läuft „Der Wanderer“ ab, ein dezent interaktives Erzählstück, das der Geheimtipp des Festivals ist. Auch weil Smeds hier selbst mitspielt. Nach einem kontemplativen Spaziergang versammelt man sich in einem kleinen Zimmer um einen Tisch und lauscht der Erweckungsgeschichte eines Pilgers. Mit leiser, aber manischer Strenge umkreisen die Konfessionen das eigene Leiden und suchen Kontakt mit dem „Wunderbaren“. Immer wieder neigt sich der Erzähler zum monotonen Mantra: „Lord, Jesus Christ, have mercy on me.“

Die meditative Pilgergeschichte zeigt eine zweite Seite an Smeds: nicht den Kraftmeier, sondern einen Sinn- und Seelensucher. „Religion interessiert mich nicht in ihrem gesellschaftlichen Einfluss“, sagt Smeds. „Es geht mir um das innere Geschehen, um die Erfahrungen einer einzigartigen Seele.“ Gerade in dieser Hinsicht sollte Smeds für das diesjährige Nordwind-Festival repräsentativ werden. Psychologische Tiefe und „emotionale Naivität“ zeichnet das Tableau laut den Kuratorinnen Ricarda Ciontos und Katja Kettner aus, das Festival wage den „Mut zu einer Melancholie, die nicht gemacht ist“. Unter Smeds’ Arbeiten steht das Monodrama „Traurige Lieder aus dem Herzen Europas“ einer psychologisierenden Schaubühne am nächsten. Das Solo basiert auf Dostojewskis Roman „Schuld und Sühne“. Wallend vor Einfühlung spielt sich die litauische Vorzeigeaktrice Aldona Bendoriute durch zahllose Rollen von der Prostituierten über den Säufer bis hin zum philosophierenden Axtmörder Raskolnikow. Kerzen werden angezündet, während traurige Lieder aus dem Nordosten die Stimmung dämpfen. Das wirkt mal protestantisch nüchtern, mal hitzig. Es liegen Welten zwischen dieser Seelenschau und dem großen, multimedial hochgetunten Militärpanorama von „Der unbekannte Soldat“. Aber wie heißt es in „Gott ist Schönheit“? „Stillos zu sein, ist auch ein Stil.“

■ 30. 9. bis 7. 10., hebbel-am-ufer.de